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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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leite das Lagertheater.«
    »Die haben wirklich ein Theater in den Sümpfen?«
    »Wir sind dabei, es zu gründen – mit Ihrer Hilfe, Genosse! Machen Sie Ihre Kartons auf und rücken Sie die Trompete und die Ziehharmonika heraus.«
    Wie gesagt, es dauerte sehr lange, bis man sich einig wurde und der Musikalienhändler mit Seufzen und Klagen die Bezugsscheine annahm. »Wird das einen Kampf mit den Beamten geben«, sagte er ahnungsvoll. »Bis zum Winter habe ich damit zu tun, bei viel Glück! Genosse, ich nehme das nur auf mich, weil es für ein Straflager ist.«
    Gegen Bargeld erwarb Abukow dann auch noch einen Stoß Noten, und hier kam es nun darauf an, welche Möglichkeiten ein neues Theater haben würde. Qualifizierte Musiker gab es genug im Lager, sogar einen Dirigenten aus Kiew – aber es war ein Unsinn, ›Othello‹ von Verdi oder ›Die Walküre‹ von Wagner einzukaufen. Außerdem hatte das Geschäft auch nur Klavierauszüge vorrätig und einzelne Arienblätter aus italienischen Opern.
    Nur zwei vollständige Partituren waren vorhanden, und auf die war der Genosse mit der braunen Künstlermähne besonders stolz: das Ballett ›Schwanensee‹ von Tschajkowskij und die Operette ›Die lustige Witwe‹ von Franz Lehár .
    »Ich kaufe die Witwe«, sagte Abukow schnell entschlossen. »Und die Klavierauszüge zu ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ von Wagner. Die Musiker werden danach ihre Stimmen selbst schreiben … alles ist möglich, wenn man Musik machen will.«
    »Sie wollen Tannhäuser in einem Straflager spielen?« fragte der Musikalienhändler und starrte Abukow entgeistert an.
    »Teile davon. Stellen Sie sich vor: Tausend verhungerte, zermürbte Menschen sitzen da in einer ehemaligen Autohalle und hören: ›Dich, teure Halle, grüß ich wieder …‹«
    »Pervers ist das, Genosse. Gespenstisch.«
    »Wie könnt ihr alle ahnen, was das für diese Menschen bedeutet …«
    »Mit zwei Geigen, einer Trompete, einer Handharmonika – Tannhäuser!«
    »Und Pauken und Trommeln aus Blechfässern, und selbstgeschnitzte Flöten aus Ästen und Balken.«
    »Wagner träfe der Schlag!«
    »Nein, er würde die Hände falten und beten …«
    Abukow bezahlte die Noten, ließ sich ein großes Paket aus den Instrumenten machen und schleppte es auf der Schulter zum Wohnheim. In der Kantine aß er ein Omelette mit gesäuerten Pilzen und einer Multebeerensauce , trank ein Glas Kwaß und benutzte den Nachmittag dazu, in einer Buchhandlung Textbücher zu kaufen.
    Dramen von Schiller durften dabei nicht fehlen, ist er doch – wie schon gesagt – unter den Ausländern der Lieblingsdichter der Russen. Das erlebten staunend auch die deutschen Kriegsgefangenen in den sowjetischen Lagern: Wenn man auf den improvisierten Bühnen – meistens in der Stolowaja, dem Schulungs- und Versammlungsraum – ein Stück spielen wollte und es der Kommandantur zur Genehmigung einreichte, genügte die Zeile: ›Von Friedrich v. Schiller‹ – und das Stück wurde erlaubt. Deshalb behauptete man einfach › Charleys Tante‹ sei genauso von Schiller wie die von Gefangenen selbst auf Papiersäcke geschriebenen Stücke. Die sowjetischen Wachmannschaften, die natürlich in den Vorstellungen saßen, freuten sich jedesmal maßlos über die Vielseitigkeit dieses Schiller, der so flotte und oft auch zweideutige Chansons geschrieben hatte.
    Also kaufte Abukow die Texte von ›Die Räuber‹ und ›Wallenstein‹, aber er nahm außerdem Gogols ›Revisor‹ und eine Dramatisierung von Puschkins ›Der Postmeister‹ mit. Es waren Stücke, in die man mit Leichtigkeit eine Betszene hineinschreiben konnte – einen Gottesdienst auf der Bühne.
    Zufrieden mit diesem Anfang, beladen wie ein Packesel – denn am zweiten Tag in Tjumen hatte er noch gegen Bezugsschein und wiederum zähen Kampf verschiedene Stoffe eingekauft – flog er nach Surgut zurück. Ein Lastwagen nahm ihn vom Flugplatz in die Stadt mit und setzte ihn mit seinen Schätzen im Hof des Zentralverpflegungslagers ab.
    Im Büro empfing Smerdow ihn mit unruhigen Augen.
    »Ihre braunen Stiefelchen habe ich, Lew Konstantinowitsch !« rief Abukow schon an der Tür. »Elegante Schühchen sind es. Man muß sich wundern, in Tjumen gibt es einfach alles.«
    »Noch mehr wirst du dich gleich wundern«, sagte Smerdow dunkel. »Und wenn du dir in die Hose scheißt, keiner nimmt es übel: Ein Anruf ist gekommen, gestern abend, von Mustai Jemilianowitsch . In 451/1 ist die Hölle losgebrochen!«
    »Die …

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