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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Grieß, Mehl, Zucker, Butter, Schmalz, Zwieback, Schokolade … die Augen gehen einem über.«
    »Wer?« fragte Jachjajew knapp.
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wer?!!« brüllte Jachjajew und wurde tomatenrot im Gesicht. Er sah die Gefahr, daß das gleiche Spiel wie vor einer Woche wieder beginnen könnte: Ein Verdacht, aber kein Beweis. Ein Stück Huhn, aber niemand, dem es gehörte.
    »Die Sachen waren plötzlich da«, sagte Schimanskow bedrückt. »Ich habe nicht gesehen, wer sie gebracht oder geholt hat. Dann wurden sie verteilt. Es reichte für vierundfünfzig Mann.«
    »Vierundfünfzig!« Jachjajew starrte seinen Informanten ungläubig an. Vierundfünfzig – unvorstellbar war das. Da schleust jemand wertvolle Lebensmittel in das Lager, die für vierundfünfzig Mann reichen. Hühner und Fleisch, Schmalz und Butter. »Weiß es schon der Genosse Kommandant?« fragte er atemlos.
    »Nein, ich bin sofort zu Ihnen gekommen, Genosse Kommissar.«
    »Und bei mir bleibt es! Kein Wort nach draußen, Lew Porfiriowitsch ! Höre ich draußen auch nur einen Ton, läufst du mit dem Arsch im Gesicht herum.« Jachjajew winkte: »Komm näher … und nun erzähle.«
    »Das war eigentlich alles«, sagte Schimanskow .
    »Namen …«, grunzte Jachjajew böse. »Namen …«
    »Ich erinnere mich daran, Genosse Kommissar, daß Sie mir in Aussicht stellten, man könnte meine Strafzeit bei guter Führung kürzen.«
    »Namen, du Saustück!« brüllte Jachjajew .
    Schimanskow zuckte zusammen, nannte sich innerlich einen Riesenidioten und schwor sich, nie mehr einem Wort von Jachjajew und ähnlichen Genossen zu vertrauen.
    »Ich habe nur gesehen, wer die Rationen eingeteilt und ausgegeben hat …«
    »Namen!!!«
    »Der Chirurg Wladimir Fomin war es. Und der Physiker Aaron Petrowitsch Lubnowitz hat es kontrolliert. Der General Tkatschew führte Listen.«
    »Die gesamte verfluchte Intellektuellen-Bande!« stöhnte Jachjajew . »Lew Porfiriowitsch , das war eine gute Meldung.«
    »Wenn ich an die gute Führung erinnern darf …«
    »Raus! Hau ab!« Jachjajew verzog das Gesicht, als quäle ihn unvermutet eine große Übelkeit. »Geh in die Küche, bestell Nina Pawlowna einen Gruß von mir, und laß dir ein Stück Braten und einen großen Pudding von der Offiziersverpflegung geben.« Er winkte, so wie man ein Insekt verscheucht, und Schimanskow war klug genug, Jachjajews Laune nicht noch mehr zu verschlechtern. Er verschwand.
    Klug genug war er auch, die Sonderportion nicht in der Küche abzuholen. Dort arbeiteten neun Kameraden aus Block III als Kartoffelschäler, Gemüseputzer und Hilfsköche, und wenn ein Schimanskow daherkam, von Jachjajew einen Gruß ausrichtete und sich eine volle Schüssel abholte, dann hätte jeder gleich geahnt, daß eine große Biesterei stattgefunden haben mußte. Spätestens am Abend würde man ihn dann vor das Blocktribunal stellen und befragen: »Wieso hast du dir Fleisch und Pudding abholen können?« Aber diese Befragung war dann schon nicht mehr nötig, denn Jachjajew würde inzwischen längst in Aktion getreten sein, so daß alle erkennen konnten: Schimanskows Extraessen war ein Judaslohn gewesen.
    Mit klopfendem Herzen wartete Schimanskow auf die Katastrophe, die über die Baracke III hereinbrechen mußte. Er drückte sich den ganzen Tag draußen herum, fegte den Hof zwischen der Kommandantur und den Werkstätten und unterhielt sich lange mit Mustai Jemilianowitsch , der an seinem uralten Motorrad arbeitete. Dieses Motorrad war ein grün gestrichenes Monstrum, das er vor drei Jahren in Tobolsk von einem freundlichen Ingenieur gekauft hatte, der sich hinterher als ein von Allah verfluchter Halunke herausstellte – denn das Motorrad steckte so voller Tücken, daß selbst der sonst so geniale Rakscha mit seiner ganzen Autowerkstatt kapitulierte.
    »Kann man einem Urgroßmütterchen noch Krakowiak beibringen?« hatte Rakscha nach eingehender Untersuchung von Motor und Antrieb gefragt. »Na, kann man das? Und hast du schon gesehen, daß ein blinder Gaul über Bächlein springt? Was du da gekauft hast, Mustai , du Idiot, ist der Urahne eines Motorrades. Wo gibt es da noch Ersatzteile? Lackiere das Ding bunt, und stell es als Denkmal aus!«
    Mirmuchsin lackierte es grün, saß tagelang wie ein mit Mikroskop bewaffneter Forscher vor seinem Motorrad und brachte dann das Wunder fertig, daß der Motor wirklich brummte und daß die Räder sich drehten. Es trug ihn und seine vier Kühlkanister mit Limonade, überwand die

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