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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit lauwarmem Wasser als einziger Nahrung waren kaum zu überleben. Jachjajew aber drohte ›auf unbegrenzte Zeit‹.
    »Erinnern Sie sich jetzt, mein lieber Wladimir Sergejewitsch?« fragte Jachjajew ölig. »Spazieren die Hühnchen von selbst durch die Palisade, in Zweierreihen, militärisch gedrillt? Und die Eierchen rollen allein herum? Ja, und das Schmalz – was tut wohl das duftende Schmalz? Ein Wunderfett, das aus den Fichtenbrettern schwitzt, nicht wahr? Oder ist es Zedernblut?«
    Fomin erhob sich von dem Stuhl und straffte den Rücken. Über Jachjajew hinweg starrte er gegen die Wand, an der neben dem Bild von Lenin ein Foto der Moskwa mit den Brücken hinüber zum Kreml hing. Eine schöne Farbaufnahme. Moskau, dachte Fomin ganz kurz, du herrliche Stadt – nie werde ich dich wiedersehen. Jachjajews ›Kasten‹ ist das Ende.
    »Ich bin in Ihrer Hand, Genosse!« sagte Fomin rauh.
    »Das sind Sie!« Jachjajew nickte mehrmals. »Noch eine Frage: Ist das ein gebratenes Hühnerbrüstchen?« Er zeigte auf das Stück Fleisch.
    »Man kann es nicht leugnen.«
    »Und niemand weiß, wie es in den Block III kommt?!«
    »Ich schlage vor, den zu fragen, bei dem man das Fleisch gefunden hat.«
    »Das habe ich bereits getan. Vierundfünfzig Mann haben sich vollgefressen. Vierundfünfzig! Wenn jeder nur hundert Gramm bekommen hat, sind das fünftausendvierhundert Gramm! Und keiner hat diesen Berg gesehen? Keiner? Fomin , wofür halten Sie mich?«
    Wer ist das Schwein, das uns verraten hat, durchfuhr es Fomin . Jachjajew weiß alles! Er kennt die Zahl auf der Liste. Er weiß, wer verteilt. Er kennt die eingeschleusten Lebensmittel. Wer, bei Gott, hat uns verraten? Alle im Block III essen doch davon.
    »Sie schweigen, Fomin ?« fragte Jachjajew , und seine Stimme bebte.
    »Was ist noch zu sagen, Genosse Kommissar?«
    »Sie sind schlimm, diese Denkausfälle, gerade und ausgerechnet bei den intelligenten Menschen!« Jachjajew erhob sich, kam um den Tisch herum und blieb vor Fomin stehen. »Sie erinnern sich an nichts?«
    »An gar nichts, Genosse.«
    »Dann gehen wir und beginnen wir mit der Therapie.« Jachjajew zog seinen Rock an, ging zur Tür und stieß sie auf. Fomin folgte ihm stumm, schritt dann neben ihm her zum Lager, wartete, bis Jachjajew mit einem Schlüssel, den er nur in der Hosentasche hatte, die Tür des › Jaschtschik ‹ aufschloß und sie aufklappen ließ. Ohne Zögern betrat er die Folterkammer, lehnte sich an die rohe Bretterwand und wandte sein schmales Gesicht Jachjajew wieder zu.
    »Ich bedauere es«, sagte Jachjajew gepreßt.
    »Wer glaubt Ihnen das, Genosse?!«
    Mit einem Tritt schloß Jachjajew die Tür, drehte den Schlüssel herum und ging zurück zur Kommandantur. Er griff zum internen Lagertelefon, sprach mit der Torwache und lehnte sich dann erwartungsvoll zurück. Kaum zehn Minuten später brachten vier Soldaten General Tkatschew und den Physiker Lubnowitz ins Zimmer. Sie hatten schon auf ihren Pritschen gelegen und trugen jetzt nur Hose und Unterhemd.
    Gleich beim Eintritt sahen sie den Hühnerbraten auf Jachjajews Schreibtisch liegen und ahnten sofort, daß mit Fomin etwas Schreckliches geschehen sein mußte. Tkatschew war noch so schwach in den Beinen, daß er sich sofort auf den freien Stuhl sinken ließ, aber einer der Begleitsoldaten gab ihm einen Tritt, riß ihn empor und warf den Stuhl an die Wand. Jachjajew nickte zustimmend, wartete, bis die Wachen das Zimmer wieder verlassen hatten, und betrachtete den General voll Interesse, wie er sich an den Physiker Lubnowitz anlehnte.
    »War die Verdauung gut?« fragte Jachjajew mit dickem Spott. »So ein ungewohntes Tröpfchen Schmalz schmiert doch gewaltig die Därme. Und die Hühner sind auch nicht gerade an Magersucht gestorben. Was ist dazu zu sagen?«
    Aber was der Politkommissar auch von sich gab – weder Tkatschew noch Lubnowitz war ein Wort zu entlocken. Sie senkten nur die Köpfe, als sie erfuhren, daß Fomin bereits im ›Kasten‹ saß.
    »Für ein verschlossenes Gemüt sind zum Überleben drei Dinge wichtig«, sagte Jachjajew , »ein starkes Herz, ein wenig entwickeltes Schmerzgefühl und ein lederner Arsch! Meine hohen Herren – keiner von Ihnen besitzt diese Voraussetzungen. Ich frage: Lohnt es sich wirklich, einiger Hühnchen wegen die letzte Gesundheit zu opfern? Wer bringt die Waren ins Lager?«
    An diesem späten Abend wurden der General und der Physiker in der Schreinerwerkstatt bis zur Bewußtlosigkeit verprügelt. Dann

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