Ein Kreuz in Sibirien
reden!«
»Wer hat denn die Transportlisten abgezeichnet?« fragte Jachjajew ahnungslos. »Wäre da eine Lücke.?«
»Auch nicht.« Rassim sah Jachjajew mit kauenden Backenmuskeln an. »Alle Listen sind von Abukow gegengezeichnet.«
» Abukow !« sagte Jachjajew und atmete tief durch. »Das ist absurd. Victor Juwanowitsch ist ein Genosse, bei dem kein Zweifel angebracht scheint.«
»So ist es!« Rassim steckte sich mit zitternden Fingern eine Papyrossi an. » Abukow wäre der letzte, an den ich denke …« Mochte in diesem Augenblick noch kein Verdacht gegen Abukow aufkommen – sein Name war gefallen!
11
Lagerkommandant Rassim stand mit bloßem Oberkörper am Waschbecken und massierte sich mit einem harten Schwamm die gewaltigen Brustmuskeln, als Larissa Dawidowna eintrat. Im Spiegel grinste er ihr fröhlich entgegen, blähte auch noch seine Bauchmuskeln und Oberarmmuskeln auf und rief:
»Vorsicht, mein Täubchen! Der Anblick von soviel männlicher Kraft könnte Sie schwach machen. So etwas sieht man nicht alle Tage. Wollen Sie mal an meinen Bauch fassen? Hart wie Stahl! Alles gefüllte Samenstränge …«
»Was ist mit Fomin , Tkatschew und Lubnowitz ?« fragte sie mit harter, heller Stimme. Rassim drehte sich um, warf den Schwamm weg und griff nach einem Handtuch.
»Geben Sie die Frage an den Genossen Jachjajew weiter, mein schwarzes Schwänchen. Es ist sein Problem.« Rassim rubbelte sich den Oberkörper trocken und grunzte dabei wohlig wie ein in der Suhle wühlender Eber.
»Sie haben den General zusammenschlagen lassen, Rassul Sulejmanowitsch .«
»Mich regten seine Gedächtnislücken auf. Ein explosiver Mensch bin ich – das wissen Sie.«
»Ich habe gerade angeordnet, daß Tkatschew und Lubnowitz ins Hospital gebracht werden. Und Fomin kommt aus dem ›Kasten‹ raus!«
»Das ist Jachjajews Privatvergnügen.« Rassim lächelte böse. »Geben Sie ihm ein Küßchen, aber nicht auf den Mund – und er läßt vielleicht mit sich handeln.« Er stellte das Rubbeln mit dem Handtuch ein, warf es neben den Schwamm in das Waschbecken und stülpte sich das gelbe Hemd der Sommeruniform über den dicken Kopf. Dann rief er: »Achtung! Bitte ganz ruhig bleiben!«, knöpfte seine Hose auf, zog sie etwas herunter und stopfte das Hemd in den Bund. »Ich möchte Abukow nicht zu nahe treten, aber im Vergleich zu mir kommt er jämmerlich weg. Stimmt's?«
»Intelligenz sitzt im Kopf, nicht zwischen den Beinen«, sagte die Tschakowskaja rauh. »Schieben Sie nichts auf Jachjajew ab, im Lager geschieht nichts ohne Ihren Befehl.«
»In diesem Fall soll Jachjajew einmal zeigen, ob er bessere Methoden besitzt, um diese Bande zur Ordnung zu bringen.« Rassim zog den Gürtel fest, knöpfte den Hosenschlitz zu und schüttelte den Kopf. »Man hat mich angegriffen, vor allem Morosow , weil ich Ratten wie Ratten behandelt habe. Nun warte ich ab und beobachte nur.«
Jachjajew war noch nicht aus dem Bett, als die Tschakowskaja auch an seine Tür klopfte. Er warf seinen Bademantel um, tappte durchs Zimmer und ließ Larissa herein. Er sah verquollen und blaß aus, hatte rotgeränderte Augen und rang mit der Müdigkeit nach dieser schlaflosen Nacht.
»Ich möchte Fomin abholen«, sagte die Tschakowskaja ohne Einleitung.
Jachjajew seufzte, schlurfte zu einem Stuhl und setzte sich.
»Es geht um den Diebstahl von Staatseigentum«, sagte er abweisend. »Um Korruption und Schädigung des Volksvermögens. Ich muß ablehnen, Genossin!«
» Fomin hat nichts gestohlen.«
»Er hat das Gestohlene verteilt. Außer Zweifel steht das. Seine Mitschuld ist erwiesen. Nur den Mund aufzumachen braucht er, einen Namen nennen – und schon kann er sich wieder der Sonne erfreuen. Ist das zuviel verlangt, Genossin, in solch einem verdammten Verfahren?«
» Fomin wird in Ihrem ›Kasten‹ umkommen.«
»Das entzieht sich völlig meinem Einfluß.« Jachjajew kratzte sich die Halsbeuge. Ein altes, verfluchtes Leiden war das, das keiner ihm nehmen konnte: Immer, wenn er sich stark erregte, begann ein wildes Jucken an seinem ganzen Körper. Das passierte ihm auch, wenn er mit einer Frau zusammen war – es war fürchterlich für ihn.
»Ich hole Fomin heraus!« rief Larissa.
»Den Schlüssel habe ich ganz allein.«
»Eigenhändig breche ich die Tür auf! Wollen Sie mich daran hindern? Wollen Sie auf die Chefärztin einschlagen lassen? Im GULAG würde man das nicht als normal ansehen.«
Jachjajew kratzte sich den Oberschenkel, die Brust, die Arme.
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