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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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waren das noch Zeiten!« Er blinzelte Abukow zu, legte den Kopf schief und musterte ihn wieder. »Irgendwie kenne ich Sie. Lassen Sie mich nachdenken.«
    Abukow geriet in Spannung. Er ahnte eine noch unbekannte Gefahr und war auf der Hut. Holte ihn die Vergangenheit des wirklichen Abukow aus Kirow doch noch ein? Gab es solche Zufälle, daß man im fernsten Sibirien einen Bekannten traf aus grauer Vorzeit? Abukow dachte an Dr. Semlakow , der ebenfalls aus Kirow stammte und ihm deshalb so wohlwollend gesonnen war. Sollte nun ein anderer aus Kirow auftauchen?
    »Ich kenne Sie nicht, Genosse«, sagte er abwehrend.
    »Aha! Ich hab es!« schrie der Knollennasenmensch. »Ja, Sie sind es! Sie gehören zur Transportbrigade des Genossen Smerdow . Zweimal habe ich Sie gesehen an Ihrem Wagen, beim Aufladen, stimmt es? Aus einem Kühlwaggon haben Sie Fleisch geholt, im Güterbahnhof. Ich arbeite dort, bin Rangierer, müssen Sie wissen, lasse die Waggons hin und her rollen und kupple sie an die richtigen Lokomotiven. Mein Name ist Maxim Leontowitsch Bataschew .« Er wartete auf eine Reaktion, aber als Abukow sich nicht rührte, nicht mit einem Aufschrei aufsprang, nicht die Arme ausbreitete – da schnupfte er wieder in sein Taschentuch und nickte traurig: »Mein Name sagt Ihnen gar nichts, was?«
    »Im Moment wüßte ich nicht …« Abukow hob bedauernd die Schulter. » Bataschew , sagten Sie? Soviel Namen ziehen in einem Leben an einem vorbei.«
    »Einen Bataschew gibt es nur einmal! Vor zehn Jahren … Meisterschaft im Boxen … Schwergewicht … in Charkow Lyntatschow ging in der 3. Runde k.o.! Ein rechter Haken genau auf den Punkt … ssst … keiner hat ihn kommen sehen, und plötzlich war er da, wie ein Blitzeinschlag … Lyntatschow war noch nach zehn Minuten besinnungslos und sagte später im Fernsehen: ›Mir ist ein Berg aufs Kinn gefallen.‹ – Der Berg war ich! Bataschew …«
    »Ich … ich erinnere mich! Ja!« sagte Abukow schnell. »War das ein Kampf, Maxim Leontowitsch ! Sagte man nicht, daß man Sie zur Weltmeisterschaft nach Amerika schicken wollte, um Mohammed Ali zu schlagen?«
    »Das sagte man«, Bataschew hustete fürchterlich, krümmte sich nach vorn und spuckte unter die schöne weiße Bank. »Aber dann war's aus!«
    »Niederlagen?«
    »Es wurde totgeschwiegen. Ich Idiot verliebte mich in ein Mädchen, eine Studentin der Ökonomie, deren Freunde Flugblätter druckten mit Aufrufen, das Menschenrecht zu achten. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ich empfand das als völlig richtig und verteilte die Flugblätter.« Bataschew , der Boxer, blies wieder in sein Taschentuch und scharrte dabei mit den Füßen. »Was kam dabei heraus? Fünfzehn Jahre Arbeitslager. Sieben davon habe ich abgesessen, in neun verschiedenen Lagern. Aber ich hatte es besser als die anderen, denn jeder kannte Bataschew , den Boxer – so bekam ich Sonderarbeiten und boxte mit den jeweiligen Kompaniemeistern der Bewachung. Wenn ich ab und zu verlor, obwohl ich jeden mit einem Schlag in die Baumkronen hätte befördern können, war alles zufrieden mit mir. Nach sieben Jahren wurde ich begnadigt. Freigelassen mit der Verpflichtung, in Sibirien zu bleiben. Nun bin ich Rangierer in Surgut …« Bataschew legte den gewaltigen Arm hinter Abukow auf die Banklehne: »Ich bin übrigens der einzige Gefangene, der als Begnadigter aus dem Lager JaZ 451/1 herausgekommen ist!«
    »Nein! Sie waren bei Rassim ?« rief Abukow erstaunt.
    »Mein letztes Lager. Als ich die Begnadigung in der Tasche hatte, nahm ich Rassims Herausforderung an, mit ihm zu boxen. Vorher hatte ich es immer abgelehnt; ich wollte nicht in den Sümpfen landen, falls er verlor. Aber jetzt war ich begnadigt, Rassim hatte keine Macht mehr über mich. In seinem Büro – natürlich völlig unter uns! – fand der Kampf statt. Sie kennen Rassim ? Ein Auerochse ist er. Ein Muskelgebirge.« Bataschew nickte mehrmals. »In der sechsten Runde hatte ich ihn soweit. Eine Doublette zum Kopf, ein Gerader in die Magengrube – Rassul Sulejmanowitsch glotzte mich an, kippte nach vorn und lag auf den Dielen. Das hat er mir nie vergessen! Neunmal hat er durch Eingaben versucht, die Begnadigung rückgängig zu machen. Aber – gelobt sei die sowjetische Bürokratie – wer einmal auf der Liste steht, der steht da wie ein Denkmal. Nichts zu machen: Ich wurde entlassen.« Bataschew klopfte Abukow auf die Schulter. Es war, als schlügen Schmiedehämmer auf ihn ein, dabei war es nur ein

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