Ein Kreuz in Sibirien
fürchte, es geht nicht, Novella .«
»Wenn du dich versetzen läßt zur Schwertransportbrigade unseres Bauabschnitts.«
»Das kann nur Tjumen entscheiden. Wenig Hoffnung habe ich da.«
»Wir werden es beantragen, Victor«, sagte sie und drückte seine Hände. »Immer wieder schreiben wir. Einmal werden die Genossen ihr Herz entdecken und zustimmen. Dann ziehst du zu mir …«
Nachdem Morosow draußen auf dem Flur dreimal den mahnenden Arzt abgewehrt hatte, war es jetzt nicht mehr möglich, ihn zu überreden. »Die Verantwortung hier habe ich!« sagte der Arzt. »Schluß ist jetzt! Eine Viertelstunde nur war genehmigt – und was kommt dabei heraus? Über eine Stunde! Das kann ich nicht mehr dulden.«
Jachjajew stürzte sich wie ein Geier auf Abukow , als dieser aus dem Krankenzimmer kam und der Arzt die Tür zugezogen hatte. »Was sagt sie?« keuchte er. »Erinnert sie sich? Gibt es eine Spur? Hat sie Ihnen mehr vertraut, Victor Juwanowitsch ?«
»Nichts weiß sie«, log auch Abukow und blickte dabei Morosow an. Der schaute an ihm vorbei gegen die weiß lackierte Wand. »Ein Stück ihres Lebens fehlt ihr.«
»Was tut sie jetzt?«
»Sie schläft. Endlich. Völlig erschöpft ist sie von unserem Besuch. Gehen wir.«
Sie fuhren mit dem Lift hinunter in die große Eingangshalle, verabschiedeten sich dort von Jachjajew , der noch zu seinen Kollegen ins KGB-Büro fahren wollte, und standen dann auf dem in der unbarmherzigen Sonne weichen Asphalt der Straße.
»Ihre Lage ist schlimm«, sagte Morosow und öffnete noch einen Knopf seines Hemdes. »Mit Ihnen tauschen möchte ich nicht. Novella liebt und verehrt Sie wie einen Gott – wie wollen Sie da bloß heraus?«
»Dazu brauche ich Sie, Wladimir Alexejewitsch . Ich weiß keinen Ausweg. Ich kann ihr doch nie sagen, daß ich ein Priester bin.«
»Um Gottes willen!« Morosow strich sich über die Augen und die verschwitzte Stirn. »Es geht nur über den Hinweis auf die Tschakowskaja . Eins aber wird dann geschehen: Sie wird erneut zusammenbrechen und aus unserer Nähe flüchten. Weg aus dem verdammten Sibirien! – Victor Juwanowitsch , welch ein Riesenfaß muß Ihr Gewissen sein!«
»Es ist so klein, daß es dauernd überläuft«, sagte Abukow gepreßt. »Ich bin gekommen, um den Gläubigen zu helfen – hier aber müssen Sie mir helfen …«
An jedem Tag, den sein Dienst zuließ, besuchte Abukow mit einem Blumenstrauß Novella Dimitrowna. Den Schock überwand sie langsam; aber immer, wenn sie sich an die furchtbare Nacht erinnerte, durchzog erneut ein Beben ihren Körper. Ihre ganze Hoffnung war der Hemdenfetzen, den Abukow wieder mitgebracht hatte. Novellas Erinnerung reichte so weit, daß sie sagte: »Plötzlich wachte ich auf, fühlte ihn auf mir, ein schwerer Mensch muß es sein. Sein Gewicht und seine Bewegungen waren so, als führe eine Walze über mich hinweg. Ich wollte schreien, riß an seinem Hemd … da würgte er mich wieder, und alles versank.«
»Ein schwerer Mensch«, sagte Morosow nachdenklich, als Abukow ihm per Telefon von diesen Wahrnehmungen Novellas berichtete. »Das kann wahr sein, aber auch nur eine Täuschung. Man stelle sich vor, wie felsenschwer einer jungen Frau ein Mann vorkommen muß, der sie vergewaltigt. Es bringt uns nicht weiter.«
Bataschew , die Knollennase, ließ zwei Tage nichts von sich hören.
Plötzlich tauchte er dann bei Smerdow auf – gerade, als Abukow seinen Kühlwagen schließen wollte, um Fleisch an eine Baustellenkantine zu liefern. Er blinzelte Abukow zu, faßte ihn unter und sagte fröhlich:
»Wenn du ein modernes Stück spielen willst: die Wohnungseinrichtung haben wir zusammen. Nichts fehlt. Sogar einen Nachttopf habe ich geklaut. Mit dem Henkel nach hinten kann man ihn als Helm benutzen. Nur muß der Schauspieler einen dicken Kopf haben.«
»Bring alles wieder zurück«, sagte Abukow .
»Warum?«
»Wie willst du Rassim erklären, woher du die Möbel hast?«
»Es sind meine eigenen, die ich zur Verfügung stelle für den guten Zweck der kulturellen Aufbauarbeit in Sibirien. Kann er mir das Gegenteil beweisen?« Bataschew steckte die riesigen Fäuste in die Hosentasche und lehnte sich gegen den Kühlwagen. »Zurückbringen? Unmöglich ist das! Heute morgen haben die Umzügler ihre Möbel abgeholt und waren zu Tränen gerührt, weil noch so viel vorhanden war. Ein Fest war das! Sie haben fast umeinander getanzt. Ein wahrhaft ehrliches Land, dieses Sibirien, haben sie ausgerufen. Hier kann man leben,
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