Ein Kreuz in Sibirien
schon an Scheinchen mit sich herumtragen? – Gehen wir jetzt zu Novella Dimitrowna ?«
Morosow zögerte. »Mir sind die Tatsachen nun klar«, sagte er, »aber dazu gehört auch, daß Novella Sie liebt. Wie kann man es ihr sagen, daß Sie ihre Liebe nicht erwidern, aus welchen Gründen auch immer? Sie wird es einfach nicht begreifen. Den wahren Grund zu nennen ist uns ja verschlossen.« Morosow zuckte plötzlich zusammen, als habe ihn ein Gedanke schmerzhaft getroffen: »Victor Juwanowitsch , das kommt erst jetzt in mir hoch. Das Gerücht von Ihnen und der Tschakowskaja – ein gemeines Gerede, fürwahr; aber wenn man es überdenkt, ein wunderbarer Schutzschild. Ich werde später, wenn es Novella bessergeht, das Gerücht um Sie und Larissa als zutreffend bestätigen. Weinen wird sie dann, schrecklich leiden, aber sie ist jung genug, um auch das noch zu überstehen … Sollen wir es so tun, Victor Juwanowitsch ?«
»Sie können es ohne Lügen.« Abukow atmete tief ein. »Es ist kein Gerücht.«
» Abukow !« Morosow schlug die Hände zusammen. »Sie … als Priester …«
»Verurteilen auch Sie mich, Wladimir Alexejewitsch . Ich muß und werde es ertragen.« Er warf sein Jackett über und ging zur Tür. »Können wir gehen?«
»Sie haben mir schwache Beine gemacht, Abukow . Es ist gar nicht so leicht, sich ein so dickes Fell überzuziehen, wie Sie es haben!«
In der Halle des Krankenhauses erwartete sie eine neue Überraschung.
Am Lift stand neben zwei Ärzten und heftig mit den Armen gestikulierend, ein kleiner, fetter Mensch und schien vor Erregung zu platzen: Jachjajew . Kaum sah er Morosow und Abukow in die Halle kommen, löste er sich von den Ärzten und lief den beiden entgegen.
»Was ist denn das?« schrie er. »Im Morgengrauen kam der Anruf von den Kollegen aus Surgut. Novella überfallen? Sofort bin ich losgefahren! Victor Juwanowitsch , was wissen Sie? Was ist genau passiert? Die Ärzte reden herum und spucken mich mit Latein an. Morosow , Sie auch hier? Natürlich, Sie sind ihr Vorgesetzter.« Jachjajew holte tief Luft, stieß sie röchelnd aus und klammerte sich an Abukow , als wolle man ihn zu einem Richtblock schleifen. »Mein lieber Victor, außer mir bin ich! Wie konnte das geschehen? Und einen Toten hat es auch gegeben! Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen. Hat man schon eine Spur?«
»Nichts, gar nichts hat man«, sagte Morosow schnell, ehe Abukow vielleicht eine Dummheit machte und von dem Hemdfetzen erzählte. »Zu gut war das alles vorbereitet.«
»Vorbereitet?« stammelte Jachjajew erschüttert. »Wieso vorbereitet?«
»Denken Sie logisch, Genosse.« Morosow schob sich vor Abukow . »Der Unhold kann nur jemand sein, der wußte, daß Tscheljabin mit Novella nach Hause fuhr. Beobachtet muß er sie haben, ist vorausgefahren und hat die Falle gelegt.«
»So war es sicher«, sagte Jachjajew und nickte mehrmals. »Hören wir uns nun Novella Dimitrowna , das arme gerupfte Täubchen, an, was es weiß, woran es sich erinnern kann, ob es ein Stäubchen von einer Spur gibt. Zu meiner Lebensaufgabe werde ich es machen, dieses Vieh zu entlarven!«
12
Bleich und geschwächt lag Novella im Krankenbett. Für einen Augenblick lächelte sie glücklich, als sie Abukow und Morosow erkannte. Doch sobald sie Jachjajew bemerkte, erlosch das Lächeln wieder. Abukow beugte sich über sie, strich mit der Hand zart über ihr von Kratzern und Striemen entstelltes Gesicht und sagte beruhigend:
»Du lebst, Novellaschka . Das ist das Wichtigste. Und diese furchtbare Stunde wird eines Tages nur noch eine böse Erinnerung sein.«
»Du bist da, Victorenka , das ist so schön«, flüsterte sie, griff nach seiner Hand und küßte sie. »Bleib bei mir, bitte … geh nicht so schnell wieder weg!«
»Entsetzen packte mich, als ich alles hörte«, ließ sich Jachjajew vernehmen. »Sofort bin ich zu dir gefahren. Mein Täubchen, glaub mir: Alles, was möglich ist, wird geschehen, um dieses Schwein zu entlarven. Aber mithelfen mußt du. Hörst du? Erinnern mußt du dich. War der Mann groß oder klein? Konnte man seine Kleidung irgendwie erkennen? Hat er etwas gesagt? Könnte man seine Stimme wiedererkennen? Gibt es besondere Merkmale? Novella , denk darüber nach. Es ist so wichtig. Eine Winzigkeit kann zu einem Rädchen werden, das eine ganze Maschine in Bewegung setzt …«
Novella Dimitrowna schwieg. Sie drehte den Kopf zur Seite, als habe Jachjajew einen fauligen Atem, und es war deutlich zu sehen, daß sie
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