Ein Kreuz in Sibirien
sich neben Kabulbekow .
»Jetzt geht es richtig los!« sagte er erfreut und rieb sich die Hände. »Wenn man nicht daran denkt, daß wir für den Abschaum der sozialistischen Gesellschaft Theater spielen, kann man sich wirklich begeistern. Ein großes Werk am falschen Fleck, aber die oberen Genossen gefallen sich neuerdings in Humanität. Den Erfolg werden wir sehen. Erziehung und Stärkung der Arbeitskraft durch Kunst – was halten Sie davon, Genosse Oberst?«
Kabulbekow nickte, kaute an einem Stück Kuchen und antwortete dann: »Auf keinen Fall kann es schaden, und das ist heutzutage schon was wert!« Er streckte die Beine von sich und sah mit Wohlgefallen, wie der Dirigent Nagijew seine Flötendamen zur Hörprobe plazierte. »Gleich halten Sie die Luft an, Mikola Victorowitsch : Meine Weiber blasen Bach! – Ist Rassim krank?«
»Nein? Wieso?« Jachjajew glotzte ihn fischäugig an.
»Hat mich begrüßt wie einen vorübergehenden Spaziergänger und zum Mittagessen eingeladen. Ende! Hat mich auf dem Platz stehenlassen. Ihn bedrückt irgendwas …«
Jachjajew hob ratlos die Schultern, schüttelte den Kopf und musterte interessiert die Mädchen auf der Bühne. Das Flötenorchester hatte inzwischen zu spielen begonnen – nicht Bach, sondern einen Volkstanz aus Grusinien. Es war wirklich ein schöner Klang. Jachjajew lächelte breit. Sein Blick fiel auf Dschamila Dimitrowna Usmanowa , die ehemalige Hure mit ihren flammendroten Haaren, und er sagte sich, daß solch ein Weib es wert sei, Novella zu vergessen. Bei ihr würde es bestimmt keinen Widerstand geben – glücklich würde sie vielmehr sein, wenn der gefürchtete Kommissar des KGB sich um ihr leibliches Wohl verdient machte.
Alle, die auf der Bühne beschäftigt waren, lauschten jetzt ebenfalls dem Spiel des Holzflötenorchesters. Der Bäcker Tschalup weinte wieder still in sich hinein, seine Frau stammte aus Grusinien. Von ihr und den drei Kindern hatte er nichts wieder gehört seit seiner Verurteilung. Keine Post für Tschalup , hieß es bei jeder Postausgabe – seit drei Jahren.
Abukow blickte verstohlen auf seine Uhr. Noch fünfzehn Minuten, dachte er, dann beginnt der Boxkampf Bataschew gegen Rassim .
Rassim stand am Fenster und sah mit klopfendem Herzen, wie Bataschew aus der Tür von Gribows Wohnung trat. Daß er dieses Herzklopfen nicht unterdrücken konnte, steigerte seinen Zorn noch mehr. Er war bereits in Turnhose, hatte die Boxhandschuhe umgeschnallt und sich muskelwarm gehüpft.
Bataschew ließ sich Zeit. Betont langsam kam er über den großen Platz.
Ein bißchen schwankend geht er, dachte Rassim mit Wohlgefallen. Müdigkeit steckt in seinen Knochen. Sieht aus, als wenn er die Arme mühsam hochbekommt. Wie schwer er geht, breitbeinig – hoho, wird da alles geschwollen sein! Braves Mädchen Axinja !
Er trat vom Fenster zurück, boxte noch einmal in die Luft, schlug pfeifende Haken und setzte sich dann vor seinen Schreibtisch. Als es klopfte, schrie er: »Nur herein, du Mißgeburt!« und scharrte mit den Füßen, während Bataschew wortlos ins Zimmer kam und hinter sich die Tür schloß. »Wie fühlt man sich?« brüllte Rassim .
»Wie ein junger Bulle vor der ersten Kuh«, sagte Bataschew . »Versuchen Sie keine üblen Tricks, Genosse Rassim : Die Handschuhe aus! Nach den Regeln werden sie erst im Ring umgebunden.«
Rassim sprang wütend auf. »Unterstellst du mir, ich hätte Eisen im Handschuh?« schrie er.
»Es ist die Regel.« Er zog sich aus, und Rassim konnte nicht umhin, diese Muskeln zu bewundern. Bataschew ging zu einem Tisch, holte dort die bereitliegenden Bandagen und wickelte sie um seine Finger. Dann trat er an Rassim heran und zeigte ihm die deckelgroßen Hände. »Alles korrekt! Ein ehrlicher Mensch bin ich.«
Rassim zögerte. Die Handschuhe hatte ihm einer seiner Trainingspartner umgebunden und war dann aus dem Zimmer hinausgeflogen. Ihn wieder zu rufen, das bedeutete, einen Zeugen zu holen.
»Mein Ehrenwort als Offizier«, knurrte er. »Alles ist einwandfrei.«
Bataschew grunzte etwas Unverständliches, fuhr in die Handschuhe, nahm beim Verschnüren die Zähne zu Hilfe und stopfte die Schnurenden knotenlos in die Handschuhe. »So wird's auch gehen«, sagte er und boxte in die Luft. »Ist ja nur für ein paar Minuten …«
»Sorge habe ich! Mein schönes Zimmer!« Rassim grinste böse.»Voll Blut wird alles sein nachher, und dein Hirn wird an der Wand kleben. Nur wenig ist's ja, aber es beschmutzt doch arg
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