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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aber auch dafür sorgte schließlich der gute Bataschew . In einer Nacht montierte er aus neuen Traktoren, die mit einem Transport gekommen waren, vier Scheinwerfer ab, schickte sie mit einer Kartoffellieferung ins Lager und meldete dann die Sauerei seinem Vorgesetzten im Güterbahnhof: »Was sind das bloß für Menschen!« schrie er aufgebracht. »Zerstören Staatseigentum, demolieren fleißige Arbeit! Genossen, blickt weg, wenn ich solch einen Lumpen in die Hände bekomme!«
    In Anerkennung seiner sozialistischen Gesinnung erhielt Bataschew wenig später ein schriftliches Lob von der Zentralverwaltung in Swerdlowsk. Er ließ es fotokopieren und schickte es Rassim mit der Post. Von Morosow hörte man wenig, von Novella Dimitrowna gar nichts. Nur soviel war bekannt, daß Novella noch im Baudorf lebte, brav ihren Dienst als Sekretärin Morosow s versah und nie mehr nach Surgut gefahren war. Sie blieb in ihrem Holzhaus, besuchte ab und zu das Kino in der Dorf-Stolowaja und hörte sonst nur Radio. Die Lagerärztin des Frauenlagers, die ernste, mürrische Velta Valerianowna Ratnowa , hatte sie zweimal hinter verhängten Fenstern untersucht und ihr beidemal Trost geben können: Nein, sie war nicht schwanger. Es würde kein Kind der Gewalt geben. Vielleicht war auch das ein Grund, warum Novella Dimitrowna nicht ihr Versetzungsgesuch reklamierte, auf das sie keine Antwort erhalten hatte und das anscheinend bei den Behörden verschwunden war unter den vielen kursierenden Formularen.
    In der siebten Probenwoche der ›Lustigen Witwe‹, die mit einer Lebensmittel-Lieferung aus Surgut zusammenfiel und Abukow wieder ins Lager führte, sagte die Tschakowskaja zu Abukow , nachdem er gebadet und sich umgezogen hatte: »Hast du Jachjajew in Surgut getroffen, Victorenka ?«
    »Nein. Wollte er mich besuchen? Etwas Wichtiges?«
    »Wer weiß es? Seit zwei Tagen ist er verschwunden.«
    »Und in Surgut soll er sein?«
    »Man denkt es sich.« Die Tschakowskaja setzte sich zu Abukow . In ihrem langen, seidenen, kaftanähnlichen, goldbestickten usbekischen Gewand sah sie aus, wie einem exotischen geheimnisvollen Bild entstiegen. »Ein Mann wie Jachjajew meldet sich nicht ab oder sagt, wohin er fährt. Den kleinen braunen Wagen hat er genommen. Rassim hat schon herumgehört: Im Frauenlager war er nicht. Morosow hat ihn nicht gesehen. Beim KGB in Surgut hat man auch keine Ahnung.«
    »Nach Tjumen kann er geflogen sein, von Surgut aus. Oder nach Swerdlowsk.«
    Bald schon hatte Abukow das merkwürdige Verhalten Jachjajews vergessen. Das altvertraute Zeremoniell begann: Die Transportlisten wurden mit Gribow abgestimmt, die ›Umverteilung‹ berechnet, der Kühlwagen abgeladen. Mustai holte Abukow s Anteil ab, lagerte ihn in seiner Limonadenbrauerei und gab ihn am Abend an Arikin , Tschalup und die anderen Vertrauensleute der Sträflinge weiter, die wie immer die Köstlichkeiten ins Lager schmuggelten. Sogar der kriminelle Schimanskow war dabei. Nachdem Jachjajew ihn zweimal geohrfeigt hatte, weil er ihn an sein Versprechen erinnerte, ein gutes Wort bei der Hauptverwaltung des GULAG einzulegen, schwor er sich, nie wieder den Zuträger für Jachjajew zu spielen und den Versprechungen des KGB zu trauen. Er wurde einer der schnellsten, raffiniertesten und eifrigsten Schmuggler von Lebensmitteln ins Lager.
    Bei den Theaterproben an diesem Donnerstag wurden zum erstenmal die inzwischen fertiggestellten Kostüme begutachtet – festliche Abendroben aus Bettbezügen, Decken, Handtüchern und Bettlaken, in der Wäscherei gefärbt, mit Papierblumen und Rüschen aus Papier besetzt. Taschbai trug einen roten Frack so elegant, als habe er nie etwas anderes angezogen.
    Das Orchester war noch bereichert worden durch zwei selbstgebaute Balalaikas und ein Wunderinstrument, das der Schlosser und Eisendreher Igor Kurakin entworfen und aus Ofenröhren, dickem Draht und selbstgedrehten Stahlstiften gebaut hatte: eine Art Baßtuba , die – wenn sie loslegte – einen urweltlichen Ton von sich gab und jedesmal zu einem Ereignis wurde.
    »Bis zum Winter haben wir noch einige neue Instrumente zusammen«, sagte Nagijew , der Dirigent. » Kurakin hat eine Menge Zeichnungen gemacht. Ein Genie ist er! Erfindet Instrumente, die es bisher noch gar nicht gab. Unser Theater wird die Musikszene revolutionieren.«
    Am Freitagmorgen hämmerte es grob gegen Larissas Wohnungstür. Noch sehr früh war es. Die Tschakowskaja ging verschlafen zur Tür. »Brennt das Lager?« Rassims

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