Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
starrte Abukow an. »Grassiert auch hier eine Gehirnerweichung?«
    »Wenn es keine Kranken mehr geben darf, ist meine Tätigkeit als Ärztin überflüssig. Die Totenscheine kann auch Dr. Owanessjan ausstellen. Oder Sie selbst, Genosse Kommandant – es ist ja ohne weiteres anzunehmen, daß Sie einen Toten von einem Lebendigen unterscheiden können. Was bleibt mir hier noch zu tun? Ich werde in Moskau meine Versetzung an eine Stelle beantragen, wo ich wirklich ärztlich tätig sein kann.«
    »Sie drohen mir?« sagte Rassim dumpf.
    »Wie können Sie die Genehmigung zu völliger Handlungsfreiheit als Drohung empfinden, Rassul Sulejmanowitsch ? Ein absoluter Herrscher werden Sie sein, wenn ich gegangen bin. Niemand wird Ihnen mehr sagen, daß es Menschen sind, die sich durch Sumpf und Taiga wühlen. Es können dann ohne Einschränkung Ihre Geschöpfe werden. Genosse, was wollen Sie mehr?«
    Rassim war etwas verwirrt, er konnte das nicht verbergen. Die Reaktion der Tschakowskaja hatte er sich anders vorgestellt. »Haben Sie andere Vorschläge, Sie Medizinengel?« bellte er wütend. »Der Erlaß ist heraus: Die verlorene Zeit muß aufgeholt werden. Warum schießen Sie mich an? Fahren Sie nach Swerdlowsk und klagen Sie dem Genossen Held der sozialistischen Arbeit Fjodor Kasinjan die Ohren voll! Von mir verlangt man Arbeitseinsatz – nichts weiter.« Er stand auf, blickte auf den Topfkuchen, griff zu und stopfte sich einen großen Bissen in den Mund. »Wieviel Kranke haben wir heute, Genossin Chefärztin?«
    »Im Hospital neunundfünfzig. Im Lager vierundsechzig.«
    »Ein Sanatorium in der Taiga! Man muß sich die Haare raufen!« Er griff noch einmal nach dem Kuchen, sah Abukow mit einem bösen Blick an, als sei er der Schuldige an allen Sorgen, und verließ die Wohnung der Tschakowskaja . Abukow sprang auf, kaum daß die Tür zugeklappt war, trat ans Fenster und starrte hinaus auf den weiten Platz und hinüber zu den Palisaden und dem geschlossenen Lagertor.
    »Du willst wirklich weggehen?« fragte er.
    Sie trat hinter ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. »So groß und schön ist Rußland. Warum hier in der Einsamkeit verschimmeln? Laß uns einen anderen Ort suchen.«
    »Du weißt, daß das unmöglich ist, Larissanka .«
    »Überall kannst du eine christliche Gemeinde betreuen.«
    »Mein Auftrag betrifft eindeutig das Lager JaZ 451/1.«
    »Für immer willst du hierbleiben?!«
    »Solange noch ein Gefangener an der Trasse arbeitet.«
    »Das wird nie ein Ende haben. Auch dann nicht, wenn der Bau fertig ist. Dann verlegt man das Lager an ein neues Projekt. Sibirien ist unersättlich. Die Eroberung des jungfräulichen Landes hört niemals auf.«
    »Ich werde mit meiner Gemeinde ziehen, wohin man sie auch bringt.« Abukow blickte Rassim nach, der mit weit ausgreifenden Schritten zur Kommandantur ging. »Für mich gibt es nur diesen einen Weg.«
    »Ich vermute, man wird mich bald versetzen – ob ich es will oder nicht«, sagte sie und legte die Arme um ihn. »Was soll ich dann tun? Es gibt kein Leben mehr ohne dich.«
    »Unser Leben liegt in Gottes Hand.«
    »Eine dumme Phrase ist das!« sagte sie hart. »Leben ist das, was wir greifen können und was wir daraus machen. Leben – das bist du und ich! Sag mir, was es anderes gibt …«
    »Über tausend Verbannte gibt es, die zu Arbeitstieren gemacht wurden, die hungern und leiden und eine Hand brauchen, deren Druck ihnen Hoffnung gibt. Hoffnung auf Überleben oder auch Hoffnung auf die Ewigkeit, auf die Erlösung. Was ist dagegen unser eigenes, egoistisches Leben?«
    »Für mich ist es alles!« Sie küßte seinen Nacken und schloß die Augen. »Wenn man uns auseinanderreißt, wird in mir eine Wunde sein, die mich verbluten läßt …«
    Am Abend kam Wolozkow zu Abukow an den Lastwagen, wo er gerade einen Ölfilter reinigte. Für morgen früh war die Rückfahrt nach Surgut angesetzt, denn die Straße war frei geworden – Bulldozer der Bauabteilung hatten den Schlamm von der Fahrbahn geschoben. Der Fahrer des Lastwagens, den Abukow reparierte, lag seit gestern im Hospital, Lungenentzündung war die Diagnose. So kam Abukow zu einem Wagen, mit dem er in die Stadt fahren konnte. Smerdow , dem man die Erkrankung telefonisch mitteilte, stimmte sofort sein Klagelied an, war aber dann hocherfreut, als er erfuhr, daß Abukow wieder zu ihm kam. Aus den Wohnlagern der Bauarbeiter an der Erdgasleitung und aus den Straflagern schrie man nach Nachschub.
    »Es scheint«, sagte Wolozkow ,

Weitere Kostenlose Bücher