Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
»als gäbe es wirklich Beamte, die schnell arbeiten können. Oder aber es sitzt in Swerdlowsk ein vor Langeweile seufzender Genosse, der sich mit einem Lustschrei auf ein Aktenstück gestürzt hat, das endlich zu ihm kam. Zufällig muß es mein Bericht über Ihre Theatergewerkschaft ›Theater Die Morgenröte‹ gewesen sein. Jedenfalls kam ein Anruf aus Swerdlowsk: Sie werden Musikinstrumente bekommen. Alte, gebrauchte, aus Militärkapellen ausgemusterte Instrumente. Hauptsache, sie geben noch Töne von sich und fallen nicht beim ersten Hineinblasen auseinander.«
    »Wie soll ich Ihnen danken, Ilja Stepanowitsch «, sagte Abukow und reichte ihm seinen Unterarm, denn die Hände waren voller Ölschmiere. »Das ist mehr, als ich zu träumen wagte.«
    »Träumen wir davon, daß sie auch ankommen.« Wolozkow lehnte sich gegen den Lastwagen. Abukow spürte, daß ihn ein Problem bedrückte, er aber nicht die Worte fand, es vor ihm zu offenbaren. »Viel Zeit hatte ich, Jachjajews Notizen durchzusehen«, sagte er schließlich, während Abukow den Ölfilter wieder einbaute. »Viel verworrenes Zeug, in dem nur er selber einen Sinn sehen konnte. Briefe zum Beispiel an Novella Dimitrowna , die er nie abgeschickt hat. Und ein Dossier über Morosow , dem er anscheinend mißtraute – warum, das ist nicht ersichtlich. Aber nun ist Morosow tot, die Akten sind geschlossen, und niemand geht es mehr etwas an, was Jachjajew da privat gesammelt hat. Auch dieser Brief nicht!«
    Er holte aus der Tasche Abukow s Brief, den er damals Novella für Morosow mitgegeben hatte und der dann auf Jachjajews Tisch lag und ihn als Schänder und Mörder entlarvte. Abukow zögerte, blickte Wolozkow fragend an, nahm dann mit spitzen Ölfingern das Kuvert und hielt es fest.
    »Haben Sie ihn gelesen?«
    »Natürlich.« Wolozkow sah an Abukow vorbei ins Leere. Sein junges, schönes Gesicht war ausdruckslos. » Jachjajews Tod hat mich immer interessiert. Mit Rassim habe ich darüber gesprochen, habe mich lange mit Morosow unterhalten. Einmal war Morosow unvorsichtig, versprach sich, erwähnte den Brief, den ich gefunden hatte. Wenn man die Mosaiksteinchen zusammensetzt, erkennt man plötzlich, woher der Antrieb kam, Jachjajew zu ›bestrafen‹.«
    »Was wollen Sie nun tun?« fragte Abukow gefaßt.
    »Vernichten Sie den Brief, Victor Juwanowitsch .« Wolozkow stieß sich von der Lastwagenwand ab. »Die Hauptpersonen sind tot, der Vorhang kann fallen. Wie bei einer Shakespeare-Tragödie ist es. Wen interessieren die Statisten, die die Waffen zureichen? Sie, als Theatergenie, müßten das doch wissen …«
    Er ging davon, und Abukow blickte ihm nach mit dem Gefühl, ihm nachlaufen zu müssen und ihn zu umarmen. Gab es so etwas: Ein KGB-Offizier als Freund?
    Abukow ging hinter die Autowerkstatt, steckte den Brief mit einem Streichholz an und wartete, bis er verbrannt war. Dann zermalmte er noch mit den Schuhen die Asche zu feinem, grauem Staub und trat ihn weg in den Wind.
    Über Nacht, genauso wie Bataschew es immer geschildert hatte, fiel der Winter über das Land. Aus bleidunklen, schweren Wolken, die von Osten antrieben, schwebte der Schnee herunter. Wa ren vorher die Wolken unter der Last des Wassers geborsten, so deckten jetzt die weißen Flocken Sumpf und Taiga zu und breiteten eine Stille über das Land, als sei alles Leben vergangen unter einem maßlosen Leichentuch.
    Pausenlos fuhren Smerdow s Lebensmittelkolonnen zu den Arbeitslagern, Baustellen, Magazinen und Depots. Ein Kampf war's gegen den wirbelnden Schnee, aber die Straßen waren nun fest und befahrbar, sogar die Nebenwege in die Wälder. Man konnte die Natur besiegen mit den schweren Motoren und den dickstolligen Reifen, saß warm in den geheizten Fahrerkabinen und hatte aus dem Zentraldepot herrlich dicke, wattierte Mäntel mit Pelzkragen bekommen, Pelzmützen mit Ohrenschützern und mit Lammfell gefütterte Handschuhe.
    Trotzdem warnte Smerdow grinsend vor zu großer Sorglosigkeit. »Jedem Neuling in Sibirien muß man's sagen«, meinte er zu Abukow . »So ein warmes Pelzchen verführt zum falschen Denken. Neu bist du hier, Victor Juwanowitsch . Laß dich nie hinreißen, auch beim größten Drang nicht, bei 40 Grad Frost im Freien zu pinkeln. Du frierst an, sag ich dir; pinkelst einen Regenbogen, der sofort erstarrt – und siehe da: das Schwänzchen ist wie festgeschmiedet. Da gab es einen Genossen mit Namen Krushilin , berühmt war er für seinen überdimensionalen Schwengel, der hielt es

Weitere Kostenlose Bücher