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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Sonne, als wolle sie so pervers sein, das Wasserchaos unter sich in helles, glitzerndes Licht zu tauchen. Das Land erschien wieder. Der Wald wurde wieder ein Wald, der in der Erde stand. Und die Gestalt des Flusses kehrte zurück mit Bett und Ufer. Schier unbegreiflich, wohin die Wasserwüste so schnell abgeflossen war. Zäher Schlamm blieb, Geröllfelder waren entstanden. Die versunkene Erdgastrasse tauchte wieder auf im Fluß, mit den Überresten der Brückenpfeiler und Stützen gespickt, die wie abgebrochene Zähne aussahen.
    Irgend etwas – man sprach natürlich darüber nicht offiziell – hinderte die Kommission daran, den toten Morosow als den ganz großen Schuldigen in die Akten zu nehmen. – Die Pläne, die er gezeichnet hatte, wurden eingezogen. Jassenski erhielt seine Ernennung zum kommissarischen Leiter der Baustelle. Der Bericht, den er geschrieben hatte, wurde als Entwurf gewertet und zerrissen. Das neue amtliche Untersuchungsprotokoll sprach dagegen von einer Naturkatastrophe, die ›neue wertvolle Einsichten für die zukünftige Planung‹ gebracht habe. Von Morosow s Versagen kein Wort; ihn gab es nicht mehr. Und allen schien es so, als atmeten die Herren der oberen Baubehörde befreit auf. Ihre eigene Schuld war durch Morosow s Opfer weggeschoben worden in das einfache Grab am Rande des Dorfes. Bis nach Moskau würde nichts durchsickern. Der verschobene Zeitplan, die Änderung des Solls mußte durch vermehrten Einsatz und das Heranschaffen zusätzlicher Maschinen ausgeglichen werden.
    Der Leiter der Sonderkommission, ein Genosse Kasinjan mit dem Titel ›Held der Sozialistischen Arbeit‹, sagte es ganz deutlich: »Wir müssen den Brigadeeinsatz intensivieren. Die verlorene Zeit einzuholen muß unser einziger Gedanke sein. Es gibt Kraftreserven, das haben wir immer wieder bewiesen. Genossen, wir lassen uns doch nicht durch einen Regen unterkriegen! Unser Bauabschnitt ist mehrmals lobend erwähnt worden im Gesamtbericht des Erdgasbaus, und so soll's auch bleiben. Der tragische Tod des Genossen Wladimir Alexejewitsch Morosow verpflichtet uns, den Blick vorwärts zu richten auf das große Ziel: 1984 muß und wird das sowjetische Erdgas durch diese Leitung nach Westeuropa fließen! Die Welt soll sehen, zu welchen Leistungen die sozialistische Arbeit fähig ist.«
    Rassim und Kabulbekow , die während der Arbeit der Kommission zugegen waren, nickten zustimmend. Schließlich stand hinter ihnen die Arbeitskraft von über 3.800 Menschen. Und der Winter stand vor der Tür.
    Abukow war nach dem offiziellen Begräbnis Morosow s – man sprach von einer verhängnisvollen Nervenkrankheit als Todesursache, und das wurde auch in den KGB-Bericht aufgenommen – am nächsten Tag ans Grab gegangen, um heimlich für den toten Freund zu beten und seinen Heimgang zu segnen. Jetzt saß er im Lager 451/1 bei Larissa Dawidowna und aß ein Stück noch warmen Topfkuchen. Als Rassim und Wolozkow von der Trasse zurückkehrten, ging Rassim ins Hospital und hieb nach guter alter Weise mit der Faust gegen Larissas Wohnungstür.
    »Störe ich?« dröhnte er, als er eintrat und Abukow am Tisch sah.
    »Sie stören immer!« antwortete die Tschakowskaja . Sie trug die Uniform, darüber ihren Arztkittel, denn die Nachmittagsvisite bei den jetzt 59 bettlägerigen Kranken stand bevor.
    »Das läßt sich nicht vermeiden«, brummte Rassim und zog einen Stuhl zu sich heran. »Wie vorteilhaft, gleich zwei der Hauptakteure anzutreffen. Auch Sie geht das an, Victor Juwanowitsch . Die Sonderkommission hat getagt. Morosow ist reingewaschen wie ein rosiger Säugling, man hat ihm einen geistigen Defekt bescheinigt. Und nun soll in die Hände gespuckt werden, daß sie triefen. So schnell wie möglich muß der Anschluß an das Soll erreicht werden. Das heißt, meine schöne Larissa Dawidowna : Keine Kranken mehr. Einsatz aller Brigaden. Keine Sonderspäßchen mehr wie Theaterspielen und mehr solchen Blödsinn. Nur noch gearbeitet wird!« Er schob die Beine weit von sich, musterte Abukow voll Hohn und wartete sichtlich kampfbereit auf die Entgegnungen.
    Zu seiner maßlosen Enttäuschung sagte die Tschakowskaja schlicht: »Also gut. Einverstanden. Keine Kranken mehr.«
    Rassim glotzte sie entgeistert an. »Haben Sie überhaupt richtig zugehört, Larissa Dawidowna ? Ihre Schäfchen werden geschoren …«
    »… von Ihnen, Rassul Sulejmanowitsch . Natürlich verstehe ich. Für mich wird es einfacher. Meinen Dank dafür.«
    »Einfacher?« Rassim

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