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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nasse Hammelherde. – Sie haben ein Herz für die Verbrecher?«
    »Ich bin ein Mensch wie Sie, Ilja Stepanowitsch «, sagte Abukow gepreßt. »Mein Vaterland liebe ich, komme aus einer guten kommunistischen Familie, Vater und Mutter waren geachtete Bürger von Kirow, ich mißachtete jeden Dissidenten, fühle als großer Patriot … so kennt mich jeder hier. Aber mein Herz dreht sich herum, wenn ich sehen muß, wie Menschen, die doch unsere Brüder sind, wenn auch aus der Bahn geglitten, schlimmer als die Tiere leben müssen! Strafe heißt Umerziehung, so hat man mir gesagt. Aber hier wird Strafe zur Vernichtung! Und Sie, Ilja Stepanowitsch , sind beauftragt, die Umerziehung zu überwachen und bei ihr mitzuwirken.«
    »Zu dieser ehrenvollen Aufgabe wurde ich gezwungen«, sagte Wolozkow trübe. »Ein Verbannter wie sie alle da draußen bin ich. Nur zu fressen habe ich, ein warmes Zimmer und warme Kleider.«
    »Alles, was man zum Überleben braucht. Die anderen aber haben gar nichts!«
    »Klagen Sie nicht mich an, sondern die Verantwortlichen«, entgegnete Wolozkow bitter. »Als der Frost einbrach und keiner Wintersachen hatte, bin ich zu Rassim hinüber. Was sagte er mir? ›Nehmen Sie Einblick in meine Berichte. Vier dringende Anforderungen für neue Winterkleidung liegen da. Was war die Antwort? Schweigen! Wenn es Ihnen gelingt, tausend Steppjacken und gefütterte Mützen nach Nowo Wostokiny umzuleiten, wäre ich bereit, Ihnen einen Kuß zu geben. Das kann ich Ihnen anbieten, weil's nie dazu kommen wird!‹ Das also sagte der Kommandant.« Wolozkow breitete die Arme aus. »Das Angebot mache ich nun Ihnen, Victor Juwanowitsch .«
    »In Tjumen sind die Lager randvoll. Mit eigenen Augen habe ich es gesehen.«
    »In Tjumen! Zwischen Tjumen und JaZ 451/1 liegen Mondfernen … Abukow , wir sind doch nicht allein auf der Welt! Da sind die Lager bei Kungur und Lyswa , bei Irbit und Tawda , da sind Uschch – 349/71 und Ust-Ischim – zehntausend Sträflinge, Abukow , die alle auf Wintersachen warten. Ich habe mich genau erkundigt, glauben Sie es mir. Die Hauptverwaltung in Perm nebelt sich ein. Was soll sie dazu sagen, wenn die Versorgung irgendwo feststeckt? – Glotzen Sie mich nicht an wie ein luftleerer Karpfen! Was bin ich denn? Ein kleiner Oberleutnant. Verlangen Sie von einer Funzel nicht ein Halogenlicht!«
    »Die Verwaltung versagt, aber die Toten nimmt man hin?« schrie Abukow außer sich.
    »Bei den Menschen klappt der Nachschub, das war schon immer so.« Wolozkow winkte ab. »Der Mensch ist eine stets greifbare und verfügbare Ware. Da gibt es keinen Mangel. Damit kann man problemlos Lager füllen. Aber tausend gefütterte Handschuhe, fünfhundert Mäntel, ein paar hundert Stepphosen, tausend Ohrenschützer – das übersteigt alle Verwaltungskräfte. Ich habe es nicht geglaubt, wie Sie, aber hier habe ich gelernt, was möglich ist in der Kunst des Wegblickens.«
    Abukow sah die Sinnlosigkeit ein, noch weiter mit dem völlig aus dem Gleis geratenen Wolozkow zu diskutieren. Er warf seinen Mantel um die Schultern und stürmte ein Zimmer weiter zu Rassim .
    Rassul Sulejmanowitsch war nicht da. Dafür saß Leutnant Sotow am Tisch und schrieb an einer Liste. Bevor er etwas sagen konnte, war Abukow schon wieder draußen und rannte zurück zum Hospital.
    Die Tschakowskaja machte ihre Visite. Zusammen mit Polewoi und dem immer magerer und schwankender werdenden General Tkatschew ging sie von Krankenzimmer zu Krankenzimmer. Sie hatte bei Rassim durchgesetzt, daß Tkatschew im Hospital mithalf. Auch Dshuban Kasbekowitsch machte die Visite mit, elegant wie immer, seit zwei Wochen mit einem dünnen schwarzen Kavaliersbärtchen unter der Nase. Als er Abukow sah, winkte er ihm freudig zu. Das Leid um sich herum nahm er gelassen hin wie Sonne und Regen, Schnee und Eis … es war für ihn naturgegeben und unabänderlich.
    Abukow wartete im Flur, bis Larissa Dawidowna ihre Visite beendet hatte. Aber sie kam nicht zu ihm, sondern ging mit Dr. Owanessjan in der anderen Richtung davon. Statt dessen kam Polewoi auf Abukow zu. Sein zerknittertes Gesicht unter den weißen Haaren war noch kleiner geworden, zusammengeschrumpft, als trockne er von Tag zu Tag aus.
    »Es geht schon los«, sagte er und gab Abukow die welke Hand. »Jetzt operieren sie ihn.«
    »Was geht los?« fragte Abukow .
    »Die Selbstverstümmelungen. In jedem Winter ist es so. Einige halten es nicht mehr aus und kommen auf die wahnsinnigsten Ideen, um ein Bett im

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