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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Mund. Der heiß gewordene Wodka zog mit einem köstlichen Duft in seine Nase. »Wären es Ameisen, würde man sie mit Tränen in den Augen einsammeln – aber es sind ja nur Menschen.«
    »Verbrecher, Victor Juwanowitsch ! Abschaum unserer sozialistischen Gesellschaft. Verräter am System. Kriminelle und Schädlinge.« Rassim setzte sich neben Abukow , zog seine nassen, auftauenden Stiefel aus und streckte die Füße dem Ofen entgegen. Die Zehen bewegte er, damit sie wieder besser durchblutet wurden. »Für eine so edle Seele wie Sie ist der Anblick dieser Verdammten wie ein Besuch in der Hölle. Abukow , sehen Sie es anders: Was macht ein guter Gärtner, wenn ihm die Raupen die frischen Blätter wegfressen, wenn die Stare seine Saat aufpicken, wenn irgendein Gewürm den Kreislauf des Lebens stört? Na? Er spritzt Gift auf die Schädlinge, er vertreibt die Vögel, er vernichtet das Unkraut, das seine Blumen und Felder bedroht! Ist das nicht natürlich? Oder soll er die Raupen und das Unkraut mit verklärtem Blick pflegen und dann selbst verhungern? Könnte man dann Mitleid haben mit so einem Idioten?« Rassim schlürfte seine Tasse aus und nickte dann, seine Rede selbst bestätigend. »Wo Schädlinge auftreten, werden sie bekämpft. Und hier ist eine Sammelstelle für Schädlinge, die zufällig einen menschlichen Körper haben und menschliche Namen tragen. Man könnte zum Beispiel auch einen Kartoffelkäfer oder einen Drahtwurm Victor Juwanowitsch nennen.«
    Abukow schwieg. Rassims vernichtende Philosophie erschreckte ihn bis ins Innerste. Mit einer Gänsehaut am Rücken begriff er plötzlich, daß bei solcher Verachtung des Menschen eine Verständigung nicht mehr möglich war. Und jetzt verstand er auch den kleinen Professor Polewoi , der einmal zu ihm gesagt hatte: »Hätte ich die Kraft dazu und käme eine Gelegenheit – Rassim würde ich töten wie eine Laus. Und ich würde es nicht einmal bereuen – egal, ob Gott mir das verzeiht oder nicht.«
    Der Tee mit Wodka tat Rassim gut. Er schnalzte mit der Zunge, griff nach einer Packung kaukasischer Zigarren und zündete sich eine an. Verträumt blickte er dem weißen, dicken Rauch nach. »Ihr lächerliches ›Theater Die Morgenröte‹ ist tot, Abukow . Gegen alles, auch gegen mich, konnten Sie sich durchsetzen – gegen den sibirischen Winter sind Sie machtlos.«
    »Wir werden spielen«, sagte Abukow fest. »Bitte rufen Sie Oberst Kabulbekow an.«
    »Soll ich mich lächerlich machen?« schrie Rassim und sprang auf. Auf Strümpfen lief er vor dem bullernden Ofen hin und her. »Von ihm komme ich gerade. Andere Sorgen hat er mit seinem Weiberlager als die ›Lustige Witwe.‹ Ihm fallen die Frauen um wie verdorrte Gräser im Sturm. Nur zwei Drittel davon sind einsatzfähig, und die draußen im Wald arbeiten oder im Sägewerk, jagen nicht Hasen zum Fressen, sondern Männer. Sie wollen schwanger werden, weil sie dann auf frühere Entlassung hoffen dürfen. Wo eine Männerhose auftaucht, beginnt ein Wettrennen. Belgemir Valentinowitsch ist der Verzweiflung nahe. Unmöglich ist's, die Arbeitsbrigaden so abzuschirmen, daß niemand sich anschleichen kann. Die schlimmsten Böcke sind die Facharbeiter beim Rohrverlegen. Muß anscheinend anregen, immer die Röhren vor sich zu haben. Die weiblichen Sträflinge wurden in den unmöglichsten Verstecken aufgestöbert. Eine Frau entdeckte man zum Beispiel in der Schaufel eines stillgelegten Schwimmbaggers. – Sprechen Sie bloß nicht Kabulbekow an! Hysterisch wird er …«
    »Nur an Ihnen liegt es, Rassul Sulejmanowitsch .« Abukow schob seine leere Tasse weg. Den Wodka spürte er; Rassim hatte ihm weit mehr Schnaps als Tee hineingeschüttet, und heißer Alkohol läuft erschreckend schnell in Hirn und Blut. »Bei dem Genossen Wolozkow war ich schon.«
    »Der arme Ilja Stepanowitsch !« rief Rassim spöttisch. »Was tat er? Las er gerade das Briefchen seiner Braut? Stand er vor einem Bild der Krim und weinte? Oder lief er im Zimmer herum und schrie: Das Leben ist Scheiße? Was also sagte Kommissar Wolozkow ?«
    »Er wäre erfreut, wenn wir spielen …«
    »Ich nicht!« brüllte Rassim . »Ich ziehe keine Arbeitskraft von der Trasse ab. Bis zur Schneeschmelze müssen wir den Rückstand aufgeholt haben. Befehl aus Perm. Der Dämlichkeit ihres Freundes Morosow haben wir das zu verdanken. Auch so ein Spinner wie Sie! Hat eine geniale Idee – und da regnet es, und alles sitzt mit bloßem Arsch da!« Er blieb vor Abukow stehen und

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