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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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lachte ihn breitmäulig an: »Wann setzen Sie sich einen Revolver an die Schläfe, Victor Juwanowitsch ? Sie können Morosow s Dumdumspritze erben; ich hab sie hier und geb sie Ihnen gern!«
    Abukow erhob sich vom Stuhl, ärgerte sich, daß er den Alkohol in den Beinen und im Kopf spürte, und bemühte sich, es nicht zu zeigen. »Sie haben einen Arbeitsauftrag – ich habe einen Kulturauftrag.«
    »Und der Unterschied ist, daß für meine Arbeit die Westeuropäer über vier Milliarden zahlen und ab 1985 zwanzig Milliarden für unsere Erdgaslieferungen, womit wir uns im Ausland alles kaufen können, was uns noch fehlt. Ihre Scheißkultur aber bringt nur Nebel in die Hirne und verschleiert die Wirklichkeit. Gehen Sie weg, Abukow !«
    Der hob die Schultern und ging zur Tür. Rassim starrte ihm mit vorgestrecktem Kopf nach, als laufe Abukow geradewegs auf einen Abgrund zu. »Weihnachten werden wir ›Hänsel und Gretel‹ spielen«, sagte er an der Tür.
    »Es gibt kein Weihnachten!« bellte Rassim sofort.
    Abukow erschrak und nannte sich einen Idioten. Ein großer Fehler und ein Glück, daß Rassim so ahnungslos war.
    »Gut, ich meinte Väterchen Frost! Aus Tjumen bestelle ich Textbücher und Noten.«
    Die Oper ›Hänsel und Gretel‹ von Humperdinck war für Abukow s Kirchenarbeit hervorragend geeignet. Engel kamen darin vor, ein Gebet auch, und man konnte ohne Schwierigkeit einen ganzen Gottesdienst hineinbauen – problemloser jedenfalls als in die ›Lustige Witwe‹.
    »Ilja Stepanowitsch hat auch die Nachricht bekommen, daß Instrumente für das Orchester geliefert werden«, fügte Abukow noch hinzu.
    »So grenzenlos wie das Land, so irr sind die Verrückten hier«, entgegnete Rassim . »Victor Juwanowitsch , wo haben Sie die mitgebrachten Pralinen?«
    »Noch im Wagen, Genosse Kommandant.«
    »Ein völlig falscher Platz.« Rassim drehte Abukow den Rücken zu, um jedem Blickwechsel aus dem Weg zu gehen.
    »Ich bringe Ihnen die Kartons herüber«, sagte Abukow und verließ das Zimmer.
    Ihn fror es bei dem Gedanken, daß an zwei Pfund Pralinen einige Menschenleben hängen konnten.
    Die Tschakowskaja war von der Operation zurückgekommen, wartete in ihrer Wohnung auf Abukow und brühte Kaffee auf, als er von Rassim zurückkam. Rassul Sulejmanowitsch hatte die Pralinen, die Ananas und den Rollbraten ohne ein Wort des Dankes entgegengenommen, ja, er hatte die Dinge nicht einmal berührt, sondern nur stumm auf den Tisch gezeigt. Dort hatte Abukow seine Schätze abgelegt und ebenfalls wortlos den Raum verlassen. Rassim jetzt anzusprechen wäre eine unverzeihliche Dummheit gewesen.
    »Wir haben ihm den halben Magen wegnehmen müssen«, sagte Larissa Dawidowna . Man sah ihr die Müdigkeit an, ihre Hände waren unruhig, und sie verschüttete Kaffee, als sie ihn in die Tassen eingoß. »Schrecklich, was er alles geschluckt hatte. Ein schwerer Eingriff war es für Dshuban .«
    »Kann er das denn überhaupt?« fragte Abukow betroffen.
    »Er ist Chirurg.«
    »Aber was für einer!«
    »Gut hat er es gemacht. Ich war erstaunt. Als er den Oberbauch eröffnet hatte und der Magen vor ihm lag, glänzte er über das ganze Gesicht, und zu mir sagte er: ›Bin ich nicht ein Teufelskerl? Bei so was habe ich früher nur die Haken halten dürfen, und jetzt gelingt mir's allein! Das sind meine von Ihnen belächelten Übungen an den Leichen. Training, meine Liebe, Training, auch bei den Chirurgen. Ohne Gefühl in den Fingerchen geht nichts.‹ Und dann resektierte er den Magen, als habe er das am Fließband gelernt.«
    »Wird der Patient überleben?«
    »Wer weiß das? Wer fragt hier auch danach? Infusionen müßte er jetzt haben, aber Dshuban hat nichts. Seit drei Monaten liegen unsere Anforderungslisten irgendwo herum, keiner weiß, wo. Fragt man danach, heißt es: ›Nur Ruhe, Genossen! Kommt alles. Vertrauen Sie auf unsere Planwirtschaft.‹ Also warten wir; was kann man sonst tun?«
    Mit Gribow hatte Abukow zum erstenmal in diesem halben Jahr eine Auseinandersetzung. Der dicke Magazinverwalter klagte über den frühen, harten Beginn des Winters und daß es nun an der Zeit sei, sich ein Beispiel an den Bären, Hamstern, Bibern und Eichhörnchen zu nehmen und die eigenen Keller vollzustopfen. »Laß erst die Schneestürme kommen«, sagte er. »Du kennst sie noch nicht, aber ich sage dir: Da ist's Schluß mit dem Autofahren. Da bleiben die Schneepflüge stecken, und die schweren Raupenschlepper liegen herum wie umgekippte Mistkäfer. Von

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