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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Verwaltungsbezirk des Lagerkomplexes, das Magazin, die Kasernenbauten, die Kommandantur, das Hospital, die Zentralküche, die Wäscherei, die Werkstätten, die Maschinenhallen, das Elektrizitätswerk mit den Transformatoren und dem riesigen Lagerplatz voller Baumstämme, Balken und Bretter. Abgeschirmt von allem, hinter Palisaden, von Wachtürmen umringt, lagen die verschiedenen Barackengruppen der Sträflinge.
    »Da ist ja Kasimir Kornejewitsch Gribow!« schrie Mustai und winkte mit seiner bestickten, perlenglänzenden Filzkappe. »Hier bin ich, Freundchen! Willkommen, willkommen! Victor Juwanowitsch, dort hinüber, zum Magazin! Ha, der Kerl ist noch fetter geworden. Nimmt jeden Monat ein paar Pfund zu. Bald wird er platzen. Welch eine Freude! Nun sind wir zu Hause …«
    Zu Hause, dachte Abukow und bremste vor dem Magazin. Zu Hause. Wie das klingt. Zu Hause im Vorhof der Hölle …
    Während vier bevorzugte Häftlinge – wie meistens in den Straflagern waren es Kriminelle, die sofort die lukrativen Posten besetzten und von den Wachmannschaften besonders bevorzugt wurden, weil man ihre Skrupellosigkeit ausnutzen konnte – den Wagen Nummer 11 entluden und dabei klauten, was ihre Taschen aufnehmen konnten, machte Mustai seinen neuen Freund Abukow mit dem Magazinverwalter Gribow bekannt. Der unheimlich nette Mensch begrüßte Abukow mit drei Wangenküssen und nahm ihn dann zur Seite.
    »Du fährst jetzt die Nummer 11?« fragte er.
    »Ja. Es ist mein fester Wagen. Das ist mir garantiert. Ich habe ihn zum Laufen gebracht. Es ist so, als würde er mir gehören.«
    »Du weißt, daß du das Beste transportierst, was es in Sibirien gibt«, sagte Gribow geheimnisvoll. »Fleisch, Fett, Käse und andere ausgewählte Delikatessen. An dir allein liegt es, die Übergabescheinchen zu unterschreiben und zu bestätigen: Alles ist an seinem vorgeschriebenen Platz angekommen. Und ich muß gegenzeichnen. Ist das klar ausgedrückt? Alles muß seine Richtigkeit haben. Die Zahl, das Gewicht … Hat man zum Beispiel fünfhundert Hühner im Kasten, müssen auch fünfhundert ins Magazin gebracht werden. Und tausend Päckchen Margarine bleiben tausend Päckchen. Es kann aber auch sein, mein lieber Victor Juwanowitsch, daß es nur vierhundertfünfzig Hühnerlein und neunhundertfünfzig Margarinewürfel sind. Keiner kümmert sich mehr darum, wenn wir beide es quittiert haben. In Surgut heftet man die Listen ungelesen ab, und dann verstauben sie in den Regalen.« Gribow blinzelte, als habe er Sandkörner in den Augen. »Du verstehst, mein lieber Abukow?«
    »Sie kratzen mein Gewissen an, Genosse Gribow«, antwortete Abukow zurückhaltend. »Ich bin ein guter Kommunist.«
    »Wer von uns ist das nicht?« rief Gribow begeistert. »Das ändert aber nichts daran, daß fünfzig Hühnchen ein erfreulicher Anblick sind.«
    »Ich bin Anwärter der Partei«, sagte Abukow steif.
    »Gratuliere!« Gribow faßte Abukow unter und zog ihn noch weiter vom Wagen weg. »Eine Parteinummer sollte keine Bremse sein, wenn man sich das Leben verschönern kann.«
    »Im Gegenteil, Genosse.«
    »Wie wir uns verstehen, Victor Juwanowitsch!« rief Gribow enthusiastisch. »Das beste Fundament einer Freundschaft ist immer das Verhältnis 50 : 50. Was hältst du davon?«
    »Also fünfundzwanzig Hühnchen für mich und fünfundzwanzig Würfelchen Margarine, um bei dem Beispiel zu bleiben …«
    »Bist ein ungeheuer kluger Kopf, Abukow!«
    »Und das bei jeder Lieferung?«
    »Wenn's möglich ist. Genau genommen gibt es nichts, was man nicht mindern könnte. Sehen wir ab von so uninteressanten Dingen wie Salatköpfen, Kohl, Gurken oder Zwiebeln. Aber schon ein Sack Kartöffelchen kann Freude erregen. Frische Kartoffeln! Nicht die getrockneten Schnitzel für die Häftlingssuppe.«
    »Wir wollen sehen, wie sich alles entwickelt«, sagte Abukow noch immer ausweichend. Innerlich war er bereits nach Gribows ersten Andeutungen bereit gewesen zuzustimmen. Etwas Besseres konnte ihm gar nicht angeboten werden. Jedes Stückchen, das er mit Gribow teilte, würde zu den Sträflingen in das Lager weitergegeben werden. Auf welchem Weg, das mußte er noch erkunden. Es kam vor allem darauf an, wie frei er sich bewegen konnte und ob es überhaupt gelang, das große Palisadentor mit seinem Wachhaus zu überwinden und die Barackenstadt zu betreten. Pjotr, sein priesterlicher Vorgänger, hatte damals den sichersten und tödlichsten Weg gewählt: Er war als Häftling einer der Verdammten

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