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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Gasleitungsarbeiter des ganzen Bezirks. Achthundert Frauen nähen da. Das Lager ist wie eine Bombe: Stell dir vor – achthundert Weiber, die nach einem Mann jagen! Du wirst's erleben, Brüderchen. Mit mir wirst du alles erleben. Ich darf ja überallhin.«
    Sie blickten auf den großen Lagerkomplex, der so schnell unter ihnen wegglitt, daß sie ihn gar nicht voll erfassen konnten. Er setzte sich in den Wald fort, wo die Holzfällerkolonnen arbeiteten und schon breite Schneisen durch die Taiga geschlagen hatten. Dann kamen wieder die Häuser von Surgut in Sicht, die Antonow setzte zur Landung an und rollte auf einer schönen, breiten, vorbildlichen Betonpiste aus.
    Noch einmal wurden sie, wieder sehr genau, kontrolliert, bevor sie die Sperren durchlaufen konnten. Ihre neuen Fotos und Ausweise wurden in einer Art Röntgenkasten geprüft. Es mußten Spezialpapiere sein. Fälschungssicher. Auf diesem Weg konnte – so dachten sie – kein Ungebetener nach Surgut kommen.
    »Da sind wir nun«, sagte Mustai Jemilianowitsch, als sie vor dem Flughafengebäude standen und zu dem Omnibus gingen, der sie in die Stadt fahren sollte. »Das neue Paradies.« Er schleppte den Sack mit seinen Mixturen zum Bus und setzte ihn dort ab. »O je! Marfa Wladimirowna ist die Schaffnerin. Keine Möglichkeit, den Sack in den Bus zu bringen. Marfa ist eine Plage wie die Mücken. Sie hat schon abgelehnt, mich mit meinen Kanistern zu transportieren. ›Ich spendiere ein Gläschen Marakuja-Limonade!‹ habe ich gesagt. Und was hat sie geantwortet? ›Sauf deine Pisse allein!‹ – So eine ist das! Komm, Brüderchen, wir suchen uns ein anderes Gefährt mit einem höflicheren Genossen.«
    Sie hatten Glück. Ein offenes Gemüseauto kam vorbei, und Mustai winkte mit beiden Armen. Jeder schien ihn zu kennen, denn der Fahrer hielt sofort an, lud den schweren Sack auf und ließ Abukow und Mustai zwischen den Gemüsekisten Platz nehmen. »Wohin fahren wir eigentlich?« fragte Abukow, als die ersten Häuserzeilen auftauchten.
    »Zu Rimma Leonidowna Matwejewa.«
    »Du lieber Himmel, wer ist denn das?«
    »Bei Rimma schlafe ich, wenn ich in Surgut bin. Sie liebt rote Haare.«
    »Ich muß mich bei meiner Dienststelle melden, Mustai. Zuerst zur Verwaltung!« sagte Abukow eindringlich. Er hatte wenig Interesse, Zeuge einer bestimmt sehr handgreiflichen Wiedersehensfreude zu werden. Es war Mustai zuzutrauen, daß er sich schon auf der Treppe entkleidete.
    »Alles zu seiner Zeit«, sagte Mirmuchsin und winkte ab. »Aus der Luft hast du die Lager gesehen. Wer drängt sich schon, sie aus der Nähe zu sehen?«
    Abukow zuckte die Schultern. Immerhin hatte er Surgut erreicht. Kam es jetzt noch auf ein paar Tage an? Obwohl er vor Erwartung fieberte. Was würde er im JaZ 451/1 vorfinden? Während sie über den Lagerkomplex geflogen waren und Mustai ihm alles erklärte, hatte er stumm gebetet. Dort unten würde sich sein weiteres Leben abspielen – dort unten, in dem in die Taiga hineingeschlagenen Barackenkomplex, würde sein Leben auch zu Ende gehen. Er war fast am Ziel.
    Jetzt, zwischen den Gemüsekisten, auf der Fahrt zu Mustais Freundin, wurde es ihm schwer ums Herz – so, wie damals in Rom am Ufer des Tiber, als er die Entscheidung fällte. Er schloß die Augen und atmete ein paarmal tief durch.
    Dann war es vorbei, er hob den Kopf, blickte um sich, betrachtete die Neubauten des modernen Surgut und sagte zu Mustai: »Einen Hunger habe ich, Freundchen! Ich könnte ein ganzes Schwein fressen!«
    Und Mustai lachte zurück: »Warte es ab, Brüderchen. Ein paar saftige Pelmeni mit gehacktem Fleisch hat Rimma immer im Ofen …«

3
    Der Leiter der Verpflegungstransport-Abteilung Surgut, der Genosse Lew Konstantinowitsch Smerdow, biß gerade in ein dickes Schinkenbrot, als Abukow eintrat und seine Papiere auf den Tisch legte. Man weiß, welch ungeheure Provokation es ist, einen Beamten beim Frühstück zu stören; Smerdow musterte den morgendlichen Eindringling, als habe dieser ihm ins Gesicht gespuckt. Abukow sagte auch sofort: »Entschuldigung, Genosse. Aber die Zeit drängt. Ich muß meinen Dienst antreten. Keinen Rubel will ich haben ohne Arbeit. Man hat mir gesagt, ich bekäme von Ihnen einen Lastwagen …«
    Smerdow schluckte den Bissen, an dem er kaute, hinunter und lehnte sich dann zurück.
    »Aha«, knurrte er, »so einer sind Sie! Wollen Ihr Soll um 150 Prozent übererfüllen …«
    »Das wäre wohl das mindeste, Genosse Transportleiter.«
    »So ist es

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