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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bock. Aber als Leiter des Hauptmagazins war er unangreifbar, solange man ihm nicht nachweisen konnte, daß er ein Saboteur war, ein Defätist, ein Systemfeind oder ein Dieb am Volkseigentum. Das aber würde schwer sein, denn Gribow war ein raffinierter Kerl, der von keinem verraten wurde, weil alle von ihm profitierten.
    So ließ Jachjajew seinen Zorn dort aus, wo er am wenigsten Widerstand fand: bei den Kranken. Er pflanzte sich in einen Stuhl, sein Quallengesicht rötete sich, und seine Mausaugen starrten die Tschakowskaja böse an.
    »Ich frage mich«, bellte er los, »warum wir auf keiner Liste für Kuraufenthalte stehen! Nach welchen Kriterien untersuchen Sie eigentlich, Genossin? Verstehen Sie, man will Ihnen keine Vorschriften machen. Sie sind der Arzt. Sie haben studiert, wie es im Inneren eines Körpers aussieht …« Er dachte an den geheimnisvollen Onkel der Tschakowskaja in Moskau, der sogar eine Verbindung zum Zentralkomitee haben sollte, und wählte seine Worte mit Vorsicht. »Aber bedenken Sie: Wir haben vier Prozent Kranke! Genossin, wo kommen wir da hin?«
    »Ich habe zehn Prozent zur Arbeit geschickt, die eigentlich zurückbleiben müßten. Die Hälfte der Trassenarbeiter ist krank!«
    »Wer frißt, muß arbeiten!« sagte Jachjajew laut. »Kauen und Schlucken erfordert Kraft, die auch ausreicht, um eine Schaufel zu bewegen!«
    »Sie sind verantwortlich für die ideologische Betreuung der Häftlinge.« Larissas Stimme war scharf in ihrer Helligkeit. »Mag sein, daß Sie auch ein Beauftragter des KGB sind. Aber die Ärztin hier bin ich!«
    Bei dem Wort KGB zuckte Jachjajew zusammen, als habe man ihn ins Gesäß gestochen. Nicht, weil es ihn beleidigte, sondern weil Larissa Dawidowna so leichthin die Wahrheit gesagt hatte. Für Jachjajew war es eine Ehre, für den großen Genossen in Moskau zu arbeiten, ihm monatliche Berichte zu schicken und seine Beobachtungen genau und detailliert mitzuteilen. Auch wenn der oberste KGB-Chef die Berichte nie zu Gesicht bekam – es war immer gut, ein Drähtchen nach Moskau zu haben –, wenn es auch kein dicker Draht war wie der zwischen der Lagerärztin und dem Onkel der Tschakowskaja.
    »Ich verbiete Ihnen, so etwas auszusprechen!« schrie Jachjajew und schnappte nach Luft. »Sie sind nicht berechtigt, mir vorzuhalten, was meine Pflicht ist!«
    »Ich sage nur, was meine Pflicht ist, was meine Verantwortung ist, Mikola Victorowitsch. Und da reden Sie mir nicht rein! Gibt es noch etwas, Genosse?«
    »Viel! Oh, sehr viel!« brüllte Jachjajew. Der Hochmut der Tschakowskaja trieb seine Nerven auf, als blase man sie voll Luft.
    »Nicht jetzt. Ich habe Ordination.«
    »Rassul Sulejmanowitsch kommt nachher. Der Kommandant wird Ihnen klarmachen, daß im Winter nur zwei Drittel von dem geschafft wurde, was nach der Norm zu leisten war.«
    »Der schönste Befehl kann kein Eis wegzaubern. Es war ein besonders strenger Winter!«
    »Und hinterher? Na? War es da etwa besser?«
    »Wäre es nicht möglich, Genosse Jachjajew, daß Sie sich in die Sümpfe stellen und sie trockenreden?« fragte die Tschakowskaja voller Hohn. »Vier Flüßchen sind zu überwinden, durchfließen grundlosen Boden – vielleicht trocknet alles aus, wenn Sie ihnen Lenin vorlesen?«
    Jachjajew war viel zu sehr außer Atem, um darauf etwas erwidern zu können. Außerdem zeigte Larissas Rede, wie sicher sie sich fühlte. So wagte keiner zu sprechen, der damit rechnen mußte, daß seine Worte an höherer Stelle bekannt werden konnten. Die Tschakowskaja schien frei von Furcht zu sein. Der Oberst des KGB, der in Tjumen regierte, flößte ihr keine Angst ein. Das war ein deutliches Zeichen in Richtung des Moskauer Onkels. Wenn man nur entdecken könnte, wer es war …
    »Streiten wir uns nicht«, keuchte Jachjajew mit letzter Kraft verbittert. Dieser Morgen setzte ihm mächtig zu. Er mußte schnell hinaus, um irgendeinen zu treffen, dem er alle Wut an den Kopf werfen konnte. »Die Rechnung werden Sie bekommen, Larissa Dawidowna. Von der Zentrale in Tjumen!«
    Er stürzte aus dem Zimmer und prallte mit Abukow zusammen, der vor der Wand neben der Tür stand und ein Foto von den Ölfeldern von Surgut betrachtete.
    »Du hast mir gerade noch gefehlt!« brüllte Jachjajew und stierte Abukow mit rollenden Augen an. »Entschuldige dich sofort dafür, daß du im Weg stehst!«
    »Das lehne ich ab«, sagte Abukow ruhig. »Der Raum ist groß genug für uns beide.«
    »Wache!« brüllte Jachjajew. Seine Lunge platzte fast,

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