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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mitspielen kann. Soldaten wie Häftlinge.«
    »Geradezu idiotisch ist das, Victor Juwanowitsch.«
    »Unter den Häftlingen werden doch auch Schauspieler und Sänger sein, Bühnenmaler und Beleuchter.«
    »Bestimmt. Im Lager gibt es jeden Beruf, den es auch draußen in der Freiheit gibt. Ein Theater!« Mustai schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Abukow, fahr deinen Kühlwagen Nummer 11, und halt das Maul! Ist gerade einen Tag hier und will ein Straflager reformieren.«
    »Reformieren, das ist ein guter Ausdruck«, sagte Abukow leichthin. »Die Langeweile soll weggeblasen werden. Ich spüre, wie große Ideen auftauchen.«
    »Grab sie tief ein und beschwere sie mit dicken Steinen. Ein Theater mit Soldaten und Häftlingen! Wenn das Jachjajew hört, lacht er sich die Därme raus.«
    »Ich werde es den maßgebenden Stellen vortragen«, sagte Abukow stur. »Hab ich erst einmal eine Idee, Brüderchen, dann muß man mich schon töten, ehe ich sie aufgebe. So kennst du mich noch nicht. Da breche ich Mauern auf.«
    »Nicht hier! Nicht in Sibirien, und schon gar nicht im JaZ 451/1. Da ist Oberstleutnant Rassim, der dir sofort einen Tritt in den Hintern gibt, und da ist vor allem Jachjajew, der dich sofort versetzen läßt, weil die Idee nicht von ihm ist. Victor Juwanowitsch, befolge meinen Rat: Fahre deinen Kühlwagen, klaue mit Gribow zusammen, was möglich ist, teile es mit ihm, und mach dir ein herrliches Leben. Leg dir ein Weib zu – dann hast du Theater genug!«
    Abukow sah ein, daß es keinen Sinn hatte, mit Mustai weiter darüber zu diskutieren. Wie war es ihm verständlich zu machen, daß ein Theater zu einer Kirche werden konnte? Daß es möglich war, jede Probe zu einem Gottesdienst umzufunktionieren? Wo sonst würde man so viele Häftlinge zusammenbringen und zu ihnen reden können als im unverfänglichen Zuschauerraum eines Theaters? Welche Gelegenheiten ergaben sich! Man könnte in die Textbücher Seiten aus den Evangelien stecken, die Bühnenbilder mit Ikonen bereichern, Bibeltexte unter die Noten schreiben. Oft kam man zusammen, um zu üben. Eine Trompete oder eine Geige spielten ja nicht von allein; das war harte Arbeit, so etwas einzustudieren. Unmöglich, Mirmuchsin das alles zu erklären!
    Am nächsten Tag fuhr Abukow mit seinem Kühlwagen Nummer 11 nach Surgut zurück. Mustai begleitete ihn zum Wagen. Der Schriftsteller Arikin, der wieder den Platz fegte, der Chirurg Fomin in der Schusterei und der Professor im Hospital sahen ihm kritisch nach. Larissa Dawidowna stand hinter der Gardine am Fenster und beobachtete ihn ebenfalls. Mustai hatte, sich immer wieder an die Stirn tippend, von den Theaterplänen des verrückten Abukow berichtet. Unter den Häftlingen hatte sich das wie ein Strohfeuer verbreitet. Da kommt ein Neuer mit einem Kühlwagen aus Surgut und will im Lager ein Theater gründen. Was soll man von solch einem Menschen halten? Entweder ist er blöder als Mirmuchsin, oder das Theater ist ein ganz raffinierter Plan zur Überwachung der ideologischen Einstellung.
    Vorsicht, Brüder! Mit solchen Spinnereien will er sich nur bei uns einschleichen. Zieht eine Mauer des Schweigens um unsere kleine Gemeinde. Keine heimlichen Treffen mehr, keine Betstunde, keine Liturgie in der nächtlichen Schreinerei! Behaltet Gott im Herzen …
    Man atmete auf, als Abukow in einer Staubwolke das Lager verließ. Nur Gribow, der Fette, winkte ihm nach.
    Die nächsten Fahrten brachten Abukow nicht mehr nach 451/1. Dafür lernte er andere Siedlungen entlang der neuen Erdgas-Trasse kennen – die Wohngruppen der Leitungsspezialisten, der Elektrofachleute, die Baracken der Rohrverleger mit ihren mächtigen Kränen und der verwirrenden Fülle von Baumaterial, die Ingenieurbüros, die Kompressorenmonteure, die riesigen Schwimm- und Sumpfbagger und die Rohrschweißerkolonnen mit der sagenhaften automatischen Schweißanlage SEWER aus Kiew. In nur vier Minuten klebte die Maschine Rohr an Rohr aneinander, und dazu noch so perfekt, daß später die Röntgenkontrollen der Schweißnähte nur einen geringen Prozentsatz Undichtigkeit aufdeckte. Auf diesen Roboter SEWER waren die Russen mit Recht sehr stolz, hatten doch Kontrollen an der berühmten amerikanischen Erdölleitung quer durch Alaska ergeben, daß bei aller hochgelobten Präzision einige tausend Schweißstellen undicht waren. Tausende! Ein Schaden von zig Millionen Dollar. In Sibirien lächelten die Spezialisten nur spöttisch über ihre amerikanischen

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