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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erkenne ich sofort! Sie nähern sich mit Humanität und ziehen dann die Peitsche. Für wie dumm halten Sie mich?!«
    »Für lebensbedrohend dumm, Fjodor Tkatschew. Ich werde nach Einsatzplan noch dreimal hierherkommen, und dreimal werde ich Ihnen etwas zustecken. Ich fahre einen Kühlwagen aus Surgut. Nächste Woche beliefere ich wieder das Zentralmagazin des Genossen Gribow. Da sehen wir uns wieder im Lager. Ist es Ihnen möglich, etwa zwanzig Hühner, dreißig Stück Butter, zwanzig Eier und drei Blöcke Käse ins Lager zu bringen?«
    »Sie sind verrückt!« murmelte der General. Seine Augen irrten umher, als käme von allen Seiten Gefahr auf ihn zu. »Ein Irrer sind Sie! Machen Sie, daß Sie wegkommen!«
    »Bleiben Sie liegen, Tkatschew, und tun Sie so, als seien Sie besinnungslos geworden. Ich bin in einer halben Stunde wieder bei Ihnen. Mit Gulasch und Marmelade. Dann sehen Sie, ob Sie mir vertrauen dürfen: Und überlegen Sie in Ruhe, wie wir die Hühnerchen und alles andere ins Lager bringen können.«
    Abukow schnellte aus der Hocke hoch und entfernte sich eilig. General Tkatschew fiel, dem guten Rat folgend, sofort in Ohnmacht und wartete. Wenn es nun doch eine Falle ist, bohrte es in ihm. Wenn sie auf diesem Weg erfahren wollen, was wir im Lager alles möglich machen können? Man wird sehen.
    Abukows Stimme holte ihn nach einer Weile aus seinen Gedanken zurück: »Aufwachen, General! Kommen Sie aus der Ohnmacht wieder zu sich.«
    Tkatschew zog die Lider hoch. Er war von Moskitos wie mit Staub bedeckt, aber das störte ihn nicht mehr. Es war sein dritter Sommer in der Taiga. Einmal wird die Haut wie Leder und mißachtet Mückenstiche.
    »Es gibt auch noch einen Block Schmalz«, sagte Abukow. »Wo wollen Sie alles verstecken?«
    »Mit Stricken binde ich es zwischen die Beine. Nur wenige Kontrolleure greifen dorthin.« Der General hob etwas das Gesäß, und Abukow schob ihm die Büchsen unter. In ihrer Nähe begann jetzt ein gewaltiger Lärm. Eine Dampframme knallte einen Stahlträger in den Dauerfrostboden. »Wollen Sie mir sagen, wer Sie sind?«
    »Ich heiße Victor Juwanowitsch Abukow.«
    »Das ist nur ein Name …«
    Abukow zögerte. Nein, dachte er dann. Es ist noch zu früh. Noch habe ich keine Sicherheit. Ein General wurde zum Häftling – aber wie denkt dieser Häftling über Gott? Man muß abwarten können, auch hier … ich will nicht drei Tage ihr Priester sein, sondern dreißig Jahre, wenn es dem Herrn gefällt. Geduld ist die Schwester des Glaubens.
    »Ein Name genügt«, antwortete er. »Vertrauen Sie darauf.«
    Er ging weg, ohne sich noch mal umzuwenden, und sah den anderen Sträflingen an der Trasse zu. Jammergestalten, die ihre letzten Kräfte in den Sumpf warfen. Aber das große Werk wuchs weiter. In zwei Jahren würde Mitteleuropa sibirisches Gas haben. Milliardengeschäfte waren dann abgewickelt, Milliardengeschäfte würden anlaufen. Hunderttausende würden ihre Arbeitsplätze behalten, einen guten Lohn empfangen und im Urlaub nach Mallorca fliegen, nach Teneriffa oder Gran Canaria, auf die Malediven und auf die Seychellen, nach Sri Lanka oder Thailand. Was zählen da schon die Knochen an der Pipeline von Urengoj bis Tscheljabinsk, weit dahinten in Sibirien?
    Der Vorarbeiter, der den General nicht mehr zur Arbeit treiben konnte, kam zu Abukow und stellte sich neben ihn.
    »Hab dich noch nie gesehen hier, Genosse!« sagte er.
    »Bin aus Surgut. Fahrer.«
    »Wie sieht's mit Papyrossi aus?«
    »Kannst eine Schachtel haben.« Abukow holte eine Packung aus der Tasche und gab sie ihm. Dann nickte er zu den Häftlingen hinüber. »Eine Drecksbande, was?!«
    »Wie man's nimmt. Der da hinten liegt und vielleicht krepiert, war mal ein General.«
    »Was du nicht sagst! Und die anderen dort?«
    »Siebzig Prozent Intellektuelle. Sogar ein paar berühmte Namen!«
    »Alles Systemverräter, was? Der Teufel hole sie alle!« Abukow spuckte aus und schlenderte davon. Bei solchen Reden hielt ihn keiner auf, wenn er sich unter die Arbeitskolonnen mischte.
    Am Abend schleppten zwei Strafgefangene den General Tkatschew in einer Decke zum Lager zurück. Zwischen seinen Beinen lagen die Gulaschbüchsen, die Marmelade und der Schmalzblock. Uninteressiert blickten die Torwachen weg, als er in der Decke an ihnen vorbeischaukelte.
    Zum Erbarmen sah er aus … so etwas kontrolliert man nicht.
    In den eingeweihten Kreisen des Lagers war der Teufel los!
    Der Name Abukow machte die Runde, von Baracke zu Baracke, von

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