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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kollegen.
    Mußte Abukow nun auch andere Strecken fahren, so hatte er dadurch doch Gelegenheit, sich zu informieren über die Baustellen und die Trasse, an der die Häftlinge arbeiteten. Er belieferte die Kantinen der verschiedenen Baustellen und Barackendörfer entlang der Pipeline und lernte eine Menge Leute kennen, vor allem die Ingenieure und die Magazinverwalter, von denen die Mehrzahl keine andere Moral hatte als der Genosse Gribow in Nowo Wostokiny.
    Nach einer Woche kam er wieder in das Gebiet von JaZ 451/1. Er brachte Fleisch und Gemüse in den Bauabschnitt der Trasse, der zum Planungsgebiet von Chefingenieur Wladimir Alexejewitsch Morosow gehörte. Hier endlich stieß Abukow auf die Kolonnen der Häftlinge, die durch Taiga und durch Sümpfe die breiten Schneisen für die Gasröhren schlugen.
    In glühender Sonne, umschwirrt von Myriaden von Mücken, ohne jeden Schutz, zogen sie Dämme durch die Sümpfe, zimmerten die Schalungen für die Betonpfeiler, auf denen die Gasleitung liegen sollte, gossen die Zementklötze und rammten riesige Stahlstützen in den schwammigen Boden. Denn das war ja das Höllische an dieser sibirischen Erde: Oben schwabbte der Sumpf, aber nach achtzig Zentimetern oder einem Meter begann der Dauerfrostboden, taute die Erde nie auf, hieb man wie auf Stahlplatten. Die Taiga wehrte sich, aber Tausende von keuchenden Lungen, Tausende aufgerissener Hände schlugen die Fundamente der Gasleitung in den feindlichen Grund.
    Nachdem Abukow seinen Kühlwagen Nummer 11 im Magazin der Baubrigade abgeladen hatte und den Verwalter Mirsu, einen Tungusen, kennengelernt hatte, der sofort für sich einen dicken Braten zur Seite legte, ließ er seinen Wagen stehen und ging zu Fuß an die breite Trasse. Die Wachsoldaten, mit Moskitonetzen über ihren Mützen, behinderten ihn nicht. Man sah ihnen an, daß sie ihren Dienst verfluchten: im Sommer gnadenlose Sonne und Mücken, im Winter ebenso gnadenlose Kälte und Eiszapfen an den Augenbrauen. Da soll ein Mensch fröhlich sein!
    Abukow kam gerade zurecht, um zu erleben, wie ein Vorarbeiter vor einem auf dem Boden liegenden Häftling stand, ihn anbrüllte und ihm Strafen androhte: Meldung beim Kommandanten und Kürzung des Essens. Das war das Schlimmste überhaupt, was man diesen Armen antun konnte: Die halbe Ration von der Hälfte dessen, was ihnen nach der Norm zustand. »Schlag mich tot!« sagte der auf der Erde liegende Häftling gerade. »Erlöse mich, tu es doch endlich! Ich stehe nicht mehr auf! So viel hat man schon mit mir gemacht – nimm die Hacke und schlag mir den Schädel ein! Werde dir noch in der Ewigkeit dankbar sein …«
    Der Vorarbeiter starrte den Liegenden an und kam zu dem Schluß, daß Herumbrüllen keine müden Knochen und keine zerschundenen Muskeln wieder aufrichten konnte, blickte dann Abukow an, der stehengeblieben war, und sagte verächtlich:
    »So etwas hat mal kommandiert! Da sieht man's wieder: Ohne Uniform sind die hohen Herrchen wie kleine nackte Mäuse. Vor so etwas mußte man strammstehen! Nicht mal das Anspucken sind sie wert, die Herren Generäle …«
    Abukow wartete, bis der Vorarbeiter zu der Häftlingskolonne an der Pfeilerschalung zurückgegangen war, und setzte sich dann in die Hocke vor den Liegenden. Der Häftling blickte ihn an. Seine tiefliegenden blauen Augen waren wäßrig, als weine er lautlos. Abukow mußte tief Atem holen. Er sah einen Menschen, der mehr tot als lebendig war.
    »Was siehst du mich an?« fragte der Liegende. »Macht's Spaß, einem Sterbenden zuzusehen?«
    »Wenn ich richtig denke, sind Sie der General Fjodor Tkatschew. Ist es so?«
    »Sie kennen mich?« Tkatschew richtete den Kopf etwas auf. Abukow nahm einen leeren Pappkarton und schob ihn unter seinen Nacken. So lag der General bequemer.
    »Aus den Bemerkungen des Vorarbeiters entnahm ich, daß Sie Tkatschew sein müssen.«
    »Ich war es – das kann hundert oder tausend Jahre her sein. Ich weiß es nicht mehr.« Er blickte Abukow abwehrend an. »Was wollen Sie von mir?«
    »Werden Sie bei der Rückkehr ins Lager kontrolliert?«
    »Nur gezählt. Ab und zu filzen sie einen, unverhofft, man weiß nie, wann – aber das macht zusätzliche Arbeit, und dazu sind sie meist zu faul.« Er hob wieder den schmalen Kopf mit den eisgrauen Haaren. »Warum?«
    »Ich stecke Ihnen nachher vier Dosen Gulasch und zwei Packungen Marmelade zu.«
    »Nein!« sagte der General hart.
    »Sie haben Angst?«
    »Ich lasse mich in keine Falle locken. Oh, Leute wie Sie

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