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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mein Freund. Von angenehmer Süße und doch Säure. Erfrischend. Bist ein großer Künstler, Brüderchen.«
    Gribows großes Interesse an Mustais Zaubertrank hatte seinen Grund: Wie an allem, was durch die Hintertür seines Magazins lief, war Gribow natürlich auch an der Limonade insofern beteiligt, als der Zucker aus den Beständen der Lagerverpflegung stammte. Die Berechtigungsscheine deckten ihn, aber da sie Blankoformulare waren, forderte er für die nächsten Lieferungen aus Tjumen die doppelte Menge an, und meistens klappte es auch. Erstaunlicherweise verfügte man in Tjumen über große Zuckervorräte; aus verschiedenen Zuckerrübenfabriken rollten die Säcke güterwagenweise an, um die Konserven- und Marmeladenkombinate am Rande der Stadt zu versorgen. Da alles streng planwirtschaftlich geschah und eine Armee von Beamten beschäftigte, gab es seltsamerweise am Ende keine Erklärung mehr dafür, warum gerade der Bereich Surgut-Nordost so viel Zucker verbrauchte. Wäre jemand außerplanmäßig der Sache nachgegangen, hätte er rein rechnerisch feststellen müssen, daß man dort offenbar die Badewannen mit Zuckerwasser füllte.
    Abukow wurde nach dreimaligem Klopfen in den Limonadeschuppen hineingelassen. Sofort aber verriegelte Mirmuchsin hinter ihm die schwere Holztür. Der große Raum duftete nach Marakuja, in drei Emaillekesseln reifte die Limonade, wie Mustai es stolz nannte. Es war nicht damit getan, Fruchtessenzen einfach in Zuckerwasser hineinzuschütten und umzurühren.
    »Willst du ein Glas Limonade, Brüderchen?« Mustai füllte mit einer Schöpfkelle ein Bierglas voll. »Ist noch nicht kalt genug. Die Kühlung läuft erst seit zwei Stunden. Aber es tut trotzdem gut. Welch eine Hitze draußen!«
    »Ich muß morgen nach Surgut zurück«, sagte Abukow. »Bin mal herumgegangen, am Lagertor, zu den Werkstätten, bei den Kasernen. Habe mich mit diesem und jenen unterhalten. Scheinen alle nicht glücklich zu sein. Auch nicht die Soldaten. Die Langeweile bringt sie um. Immer nur Bewachungsdienst, immer der gleiche Trott, immer dieselben Gesichter. Draußen an der Trasse Staub, Dreck, Lehm und der Himmel gelb von Mücken. Am Abend Radio, Musik, Filme und keine Weiber. Trostlos, Brüderchen.«
    »Hier ist nicht die Krim!« erklärte Mustai. »Hättest Obstfahrer in Jalta werden müssen oder Teetransporteur in Sotschi. Jetzt bist du da, wo Tausende vor Freude seufzen, daß sie den nächsten Tag erleben dürfen.« Mirmuchsin musterte Abukow forschend; es war fast der gleiche Blick, wie ihn die Tschakowskaja hatte, als sie mit Abukow sprach. »Nehmen wir an, Gribow hat dich zur Seite genommen und dir ins Ohr geflüstert …«
    »Das hat er wirklich. Ein schönes Wort gebrauchte er: Fünfzig Prozent.«
    »Kasimir Kornejewitsch ist ein Halunke. Man müßte ihm den Hals umdrehen. Aber was er verspricht, das hält er. Wie war deine Antwort?«
    »Man muß sich das reiflich überlegen – habe ich gesagt. Konnte ja eine Falle sein, wer weiß das vorher? Man sagt ja, und hopp, ist man hinter den Zäunen und frißt stinkende Suppe. Nun sagst du, Gribow ist ein ehrlicher Mensch … also könnte man zustimmen, ihn als Partner beim Stehlen zu nehmen.«
    »Es wird nicht gestohlen. Nur abgezweigt und umverteilt.«
    »Wohin verschwinden all die schönen Sachen?« fragte Abukow gespannt.
    »Gribow verkauft sie in Surgut. Da sind sie ganz wild auf diese Sonderzuteilungen. Einen Mann gibt es da, einen Boris Alexandrowitsch Popow, der nimmt alles ab, was Gribow hinüberschickt. Er hat eine Sargwerkstatt, und in den Särgen versteckt er auch die Ware. Hat schon jemals einer Särge kontrolliert?« Mustai nahm ein Probegläschen, tauchte es in den Limonadenkessel und kostete. »Es wird schon kälter«, sagte er anerkennend. »Was wirst du mit deinen fünfzig Prozent machen, Victor Juwanowitsch? Soviel fressen kannst du gar nicht. Verkaufst es auch in Surgut?«
    »Auch darüber muß man nachdenken.« Abukow blickte an die rohe Asbestzementdecke des Schuppens, um Mustais lauernden Blicken zu entgehen. »Mich beschäftigt das ganze Leben hier. Zum Beispiel, nur eine Idee ist's: Man könnte ein Theater gründen.«
    »Ein was? Ein Theater?« Mustai holte pfeifend Atem. Die Bohème-Aufführung in Taschkent kam ihm wieder zu Bewußtsein. »So eine Bühne, wo eine Lungenkranke singt und an dieser Dämlichkeit stirbt? Wo man ein weißes Hemd mit Schlips anziehen muß? Halt dein Gehirn fest, Brüderchen!«
    »Ein Theater, bei dem jeder

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