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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich Milch schlecht zwischen die Beine schnallen. Im Lager hatte der Jurist Ilja Kriwow, der ehemalige Staatsanwalt, die peinlich genaue Verteilung der Spenden übernommen. Mit einer kleinen Handwaage aus Blech und Draht, die der Chirurg Fomin konstruiert hatte, wog man grammweise die Zuteilungen ab. Das geschah nachts in der Baracke II, in der auch Pjotr gewohnt hatte und wo man sicher war, daß kein Verräter einen Wink zur Kommandantur gab.
    Für jeden 20 Gramm Mehl – das reichte, mit Wasser vermengt, für eine gute Mehlsuppe. Ein Löffelchen Fertigsuppenpulver – welche Köstlichkeit, das anzurühren und zu schlucken. Und aufgekochter Grieß mit Zwiebeln und einem Quentchen Schmalz – welch ein himmlischer Brotaufstrich! Bei den Fischkonserven wurde es ein wahres Festmahl; sie saßen alle um den langen Tisch im Mittelgang der Baracke, beteten vor dem Essen, und Kriwow verteilte den Hering in Tomatensoße. Der Schwächste unter ihnen, General Tkatschew, durfte die Dosen leerlecken; es waren sechs Stück, seine Augen glänzten fiebrig vor Wonne. Er putzte mit Fingern und Zunge die Blechdosen so blank, als kämen sie gerade aus der Herstellung. Zwei Tage lag er dann herum und wurde von Leibschmerzen gequält; es war das ungewohnte Fett – aber er war dennoch einer der glücklichsten Menschen.
    Mit Abukow, dem merkwürdigen Spender, kam man jedoch nicht weiter. Der Schriftsteller Miron Arikin unterhielt sich mit ihm, weil er anstelle des Generals die Sachen in Empfang nahm. Er war an Abukow, der sich nach Tkatschew umsah, herangetreten und hatte ihm zugeflüstert: »Fjodor ist krank geworden, hat das Auslecken der Fischkonserven nicht vertragen, ich soll jetzt alles mitbringen!« Aber Abukow hatte zunächst sehr steif geantwortet: »Was willst du? Wovon redest du? Sitzen dir die Mücken schon im Hirn? Scher dich weg!« Doch später hatte er Arikin wortlos die köstlichen Dinge mitgegeben, diesmal sogar zwanzig Tafeln Milchschokolade. Als ob es Weihnachten wäre …
    »Ein undurchsichtiger Mensch«, berichtete später im Lager der bepackte Arikin. »Man kommt an ihn nicht heran. Nun geht das schon sieben Tage, doch Jachjajew scheint noch nichts zu wissen. Also verrät Abukow nichts, das ist sicher. Material gegen uns hat er genug gesammelt. Wir sollten Georgi Wadimowitsch damit beauftragen, eingehender mit Abukow zu sprechen. Er kann es am besten.«
    Professor Polewoi nickte. »In der nächsten Woche beliefert er wieder das Zentralmagazin, sagt Mustai. Wir werden sehen, wie er sich da benimmt.«
    »Er hat mir zwanzig bratfertige Hühner angekündigt«, sagte der General. »Wenn er dieses Wort einlöst …«
    »… dann stelle ich ihm offene Fragen«, rief Polewoi erregt. »Ihr stimmt doch zu, liebe Freunde, daß so etwas nicht normal ist!«
    Am Montag rückte tatsächlich die Versorgungskolonne in Nowo Wostokiny ein. Eine hohe Staubwolke kündigte sie an. Außerdem war ein Motorradfahrer der Monierbrigade zur Kommandantur gekommen; er hatte die Wagenkolonne überholt und verkündete das freudige Ereignis. Es gab wieder frisches Fleisch!
    Mirmuchsin und Gribow standen voller Freude am Magazin und winkten den Lastwagen zu, als sie auf dem großen Platz auffuhren. Auch Kühlwagen Nummer 11 war dabei – aber hinter dem Steuer saß ein anderer Fahrer. Kein Abukow, weit und breit nicht. Der Schreck fuhr Mustai so in die Glieder, daß er einen tiefgrollenden Wind loswurde, der Gribow zusammenzucken ließ.
    »Er ist weg!« stammelte Mustai und verdrehte die Augen, als habe es sein Inneres zerrissen. »Victor Juwanowitsch kommt nicht. In Surgut muß etwas geschehen sein. Eiskalt bin ich plötzlich, Kasimir Kornejewitsch!«
    Auch Gribow spürte einen Hauch von Weltuntergang. Das Geschäft, das sich mit Abukow so gut angelassen hatte, die fünfzig Prozent an der ›Umverteilung‹, lösten sich in nichts auf.
    »Fahr sofort nach Surgut«, sagte er zu Mustai. »Im Auftrag des Zentralmagazins. Ich gebe dir ein paar Listen mit, dann hat es seine Begründung. Was mag nur mit Abukow passiert sein?«
    Er schnaufte besorgniserregend, sein Blutdruck mußte eine astronomische Höhe erreicht haben. Ächzend wälzte er sich in sein Büro, sank dort in seinen extra breiten Sessel und stierte gegen die getünchte Wand.
    Die Nachricht, daß Abukow nicht erschienen war, machte sofort die Runde. Polewoi rief wieder seine Vertrauten an, die Angst kroch erneut durch das Lager. Der häßliche Verdacht, daß ein Spion nun seine Pflicht getan

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