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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Abukow.
    Mirmuchsin nahm eine Scheibe Schinken – wenn es ums Essen und Trinken ging, vergaß er die strengen Gebote des Propheten Mohammed –, stopfte sie in den Mund und blickte an Abukow vorbei gegen die Wand. Am Donnerstag liegst du stumm und steif in einer Blechwanne, dachte er dabei, und der Arzt wird sich fragen: Wer hat ihn erwürgt? In Tjumen kann ich dich nicht verschwinden lassen, Victor Juwanowitsch. Muß dich liegenlassen, und dann bekommst du sogar ein anständiges Begräbnis. Warst ja ein treuer Genosse und Spion … in Wirklichkeit bist du es nur wert, einfach in die Taiga geworfen zu werden.
    »Wie lange bleibst du in Tjumen, Mustai?« fragte Abukow.
    »Bis morgen nur. Muß nach Surgut zurück. – Ein guter Schinken und ein guter Wein!«
    »Ich habe Grund zum Feiern.«
    »So ist es. Man soll sich vergnügen, solange es die Kehle noch durchläßt … Einmal ist sie zu. Ganz plötzlich.«
    »Du wirst dich wundern, was ich erreicht habe«, sagte Abukow in seiner fröhlichen Ahnungslosigkeit. »Nicht mal geträumt hättest du davon!«
    Mirmuchsin nickte schwer. Der gedrehte Seidenstrick in seiner Tasche wurde bleischwer, und er hatte das Gefühl, als zöge ihn der Strick zur Seite. An die Wand lehnte er sich zurück, kaute die letzte Scheibe Schinken und wünschte sich die Nacht herbei. Schnell muß es gehen, dachte er und betrachtete wieder Abukows Hals. Mit einem festen Ruck muß man ihm den Knorpel brechen. Er soll nicht zappeln und sich vor Todesangst in die Hosen machen, wie es fast alle Erwürgten tun. Ein letzter Freundschaftsdienst soll's sein, Victor Juwanowitsch … ein blitzschneller Tod. Er schloß die Lider, um nicht immer Abukows Nacken, sein fröhliches Gesicht und seine so ehrlichen blauen Augen sehen zu müssen.

4
    Mustai Jemilianowitsch Mirmuchsin vermochte nicht zu begreifen, wieso Abukow sich so seelenruhig hinlegen und schlafen – ja sogar schnarchen konnte, als sei er völlig schuldlos und ohne Gewissenspein. Lange saß Mustai auf seinem Bett, spielte mit der Seidenschnur und starrte Abukow an. Ein leichtes wäre es gewesen, jetzt ganz zart die Schlinge über seinen Kopf gleiten zu lassen und sie mit einem Ruck zuzuziehen. Gleichzeitig müßte man mit den Knien den Oberkörper niederpressen, denn sollte sich Abukow doch noch aufbäumen, könnte es Lärm geben, und den wollte Mustai vermeiden. Aber indem er nun Victor Juwanowitsch so eindringlich beobachtete und seinen gesunden Schlaf sah, überkam ihn Mitleid mit dem Freund. Andererseits sagte er sich: Ein Agent des KGB, so ziemlich das Teuflischste nach dem Satan selbst, verdient keine Tränen. Unser Vertrauen hat er mit Schokolade und Schmalzblöcken zu erschleichen versucht. Die hilflosen Sträflinge wollte er ans Messer liefern … Mustai Jemilianowitsch, kein Zittern sei in deiner Seele, wenn du die Schlinge zuziehst!
    Trotzdem weckte er Abukow. An den Schultern schüttelte er ihn, bis er aus dem tiefen Schlaf hochschreckte, sich aufsetzte und Mustai voller Unverständnis anblickte.
    »Was ist denn los?« sagte er schlaftrunken. »Rüttelst mich wie ein Spreusieb? Hattest wohl einen schlechten Traum, was, Freundchen?«
    »Einen schrecklichen Traum! Träumte mir doch, eine Schlange, die man nur mit Honig fütterte, kackte Teufelseier. Und als die Eier ausgebrütet waren, na, wer schlüpfte da heraus? Lauter KGB-Genossen!«
    »Ein Traum, bei dem man sterben könnte«, sagte Abukow erschüttert.
    Mustai schluckte mehrmals. »Wenn es jemanden gäbe, der mir diesen Traum deuten könnte …«
    »Was hast du mit dem KGB zu tun?« fragte Abukow geradezu. Seine Stimme war leise, aber scharf genug, um Mustai aufhorchen zu lassen.
    »Nichts, Genosse.«
    »Aber du träumst von ihm!«
    »Angst habe ich vor ihm. Wen wundert das? Wer hat nicht Angst davor – es sei denn, er gehört selbst dazu. Und sogar die haben wieder Angst vor ihrem Vorgesetzten, das geht stufenweise nach oben. Vom kleinsten bis zum größten Speichellecker. Ist Berija, der große Chef, nicht im Kreml erwürgt worden? Wie schnell kann's da die Kleinen treffen!«
    Mirmuchsin umklammerte wieder die Seidenschnur in seiner Tasche. Die nächste Frage oder Antwort Abukows war entscheidend. Und Abukow sagte: »Wir alle haben Angst vor dem KGB. Deshalb sollten wir zusammenhalten. Im Lager vor allem gegen Jachjajew. Ein dämlicher Mensch ist er zwar, aber gerade die Dämlichsten können die Gefährlichsten sein.«
    »Und wie ist's mit dir, Victor Juwanowitsch?«
    »Auch ich

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