Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
worden war. Das Wort Schiller war jetzt also ein zweiter, saftiger Knochen, den Abukow ihm hinwarf und an dem Rassim nicht vorbeigehen konnte.
    »Man wird sehen«, sagte er abweisend, denn ein Rassim ist nie entgegenkommend. »Ich werde mit Tjumen sprechen. Aber zu dir, mein Bürschchen: Da kommt ein Lastwagenfahrer einfach daher und will Theater spielen! Morgen kommt vielleicht ein Bäcker und sagt: Ich will ein Maleratelier einrichten. Und übermorgen steht hier ein Traktorist und verlangt: Das fehlt schon lange: Ein Puff muß her!« Rassims Stimme schwoll bedrohlich an: »Eine Erklärung will ich, Abukow!«
    »Sie ist einfach, Genosse Kommandant: Außer Kraftfahrer bin ich seit 15 Jahren auch ein Laienschauspieler. Wo immer ich gearbeitet habe – stets war ich Mitglied einer Theatergruppe und habe in den Kulturpalästen gespielt und gesungen. Ich würde mich auch der Laienspielgruppe ›Junge Adler‹ in Tjumen anschließen, sie hat einen festen Spielplan, ist überall sehr beliebt und praktiziert den Kulturauftrag für den Fortschritt in Sibirien. In Moskau sieht man mit Freude diese Arbeit. Leider ist meine Station Surgut und der Lagerbereich unerobertes Neuland, Genosse Kommandant, in Sachen Kultur. Ich habe da einen Auftrag gesehen …«
    Die Erwähnung Moskaus traf auch Rassim. Planungen aus Moskau, und seien sie noch so hirnverbrannt, entziehen sich der Kritik, weil es niemand wagen würde, eine andere Meinung als die Genossen im Kreml zu haben. Kritik im stillen entzieht sich jeder Verfolgung, man kann im eigenen Stübchen sich an die Stirn fassen, auf das Papier spucken, die Wände anschreien und jede Menge angestauter Luft ablassen – am Tagesablauf ändert sich nichts. Der Geist aus Moskau ist mächtiger.
    »Ich lasse dich wieder rufen, wenn ich mit Tjumen gesprochen habe«, sagte Rassim ungewöhnlich gnädig. Er ging hinüber zu dem Schachspiel, setzte sich und zeigte auf den Stuhl, den Oberleutnant Sotow verlassen hatte. »Komm her! Wir spielen die Partie zu Ende.«
    »Sie werden verlieren, Genosse Kommandant«, sagte Abukow zögernd.
    »Hinsetzen!« schrie Rassim und hieb die Faust auf seinen rechten Oberschenkel. »Ich will die Züge sehen!«
    Es war nicht auszuweichen; Abukow nahm Platz, entschuldigte sich noch einmal und setzte Rassim wirklich in zwei Zügen matt. Ruckzuck ging das, ohne langes Grübeln, als sei Rassim ein elender Anfänger. Mit verkniffenem Gesicht erhob er sich. »Wir werden noch öfter miteinander spielen«, sagte er knapp. »Und jetzt raus mit dir! Gebildete wie dich kann ich nur eine begrenzte Zeit ertragen.«
    Abukow verließ schnell die Kommandantur. Jedes weitere Wort hätte zu einer Niederlage führen können. Er hatte mehr erreicht, als er in seinen kühnsten Träumen erwarten durfte: Rassul Sulejmanowitsch hatte die Unverbindlichkeit der Empfehlungsschreiben aus Tjumen nicht erkannt.
    Von einem fast unerträglichen inneren Druck befreit, breitete Abukow beide Arme weit aus, als er wieder draußen in der warmen Nacht stand. Tief atmete er die herbe Luft ein, die von den Wäldern kam.
    In diesem Augenblick hielt ein kleiner Wolgawagen vor der Kommandantur, und Jachjajew stieg aus. Sofort, als er Abukow sah, winkte er ihm zu. Es war kein freundliches Zeichen; eher wie ein Befehl sah es aus.
    Der politische Kommissar war wie immer nicht der besten Laune. Vor allem in den letzten Wochen hatte er Anlaß genug gehabt, die Welt und seine Mitmenschen zu hassen: Die Leiterin der Lagerküche, Leonowna, hatte sich fest für den dicken Gribow entschieden. Der Teufel wußte, warum. Denn Gribow, das war bekannt, soff wie ein durstiger Elefant, fiel dann auf den Rücken und war als Geliebter unbrauchbar. Das Gegenteil traf auf Jachjajew zu: Trank er ein paar Gläschen, fuhr Feuer in seine Lenden, und jeder Eber hätte respektvoll gegrunzt vor Jachjajews Liebesangebot.
    Nun soll man nicht denken, der kleine, runde Mikola Victorowitsch wäre allein auf Nina Pawlowna angewiesen gewesen. Bekannt war ja, daß einige Ehemänner in Surgut und in den Kasernen nur darauf warteten, ihm etwas nachweisen zu können, um ihn dann durchzuwalken wie ein Rohleinenbündel – nur hatte es bisher nie geklappt, weil Jachjajew genau die Dienstzeiten einhielt und nur dann zu den Frauchen schlich, wenn die Männer im harten Arbeitseinsatz waren. Trotzdem schmerzte es ihn, daß Nina Pawlowna den fetten Gribow vorzog. Für Jachjajew war es geradezu eine Beleidigung, da aus dem Feld geschlagen zu sein.
    Ein

Weitere Kostenlose Bücher