Ein Kreuz in Sibirien
anderes Mißgeschick verdunkelte seine Laune seit einigen Wochen noch mehr: Nachdem die neue Planungsleitung an die Trasse gezogen war und dort ihre Baracken aufgeschlagen hatte, war mit dem Chefingenieur Morosow auch dessen Sekretärin mitgekommen, die süße Novella Dimitrowna Tichonowa. Zweiundzwanzig Jahre jung, von zierlicher Figur und mit hellen blauen Augen, stolzierte sie jetzt an den heißen Tagen in engen, weißen Shorts herum, trug dünne Blüschen, durch die sich ihre spitzen Brüste drückten – und überhaupt: Wenn sie so daherging, mit wippendem Hinterchen, und die hellbraunen Haare wehten im heißen Wind, während ihr ovales Gesicht immer von einem Lächeln durchglänzt war, – bei einem solchen Anblick verwandelte sich Jachjajews Herz in einen Hefekuchen, der rasend schnell aufging und bis auf die Luftröhre drückte.
An Novella Dimitrowna war mit den üblichen Faxen nicht heranzukommen, das hatte Jachjajew schnell erkannt. Seine Beobachtungen sagten ihm auch, daß die Tichonowa nicht etwa in einem der Betten der zahlreichen Ingenieure lag. Zwar war sie zu allen lieb und freundlich, scherzte und lachte mit ihnen, ließ derbe Witze über sich ergehen, auch ins Kino begleitete sie ab und zu einen der jungen Genossen, tanzte im Kulturhaus von Surgut, besuchte Abende der Jungen Pioniere, machte im Rahmen des Arbeitskreises ›Die junge Familie‹ sogar einen Nähkursus mit – aber hinterher schloß sie immer die Tür zu und blieb allein. Wenn Jachjajew sich vorstellte, wie sie sich dort entkleidete und was dann hervorkam, begannen seine Mundwinkel zu zucken.
Novella Dimitrowna sagte brav danke schön, als Jachjajew ihr eine große Tafel Nußschokolade mitbrachte, und sie sagte auch nur danke schön, als es beim nächstenmal eine Schachtel Pralinen aus Taschkent war. Mit Jubel im Herzen durfte zwei Wochen später Mikola Victorowitsch das Täubchen Novella ins Kino führen. Man sah einen Film aus dem Großen Vaterländischen Krieg, in dem die Frau eines tapferen Feldwebels – der Teufel hole sie – ihren im Erdloch bei Gomel liegenden Helden mit einem schleimigen, lungenkranken Textilbetriebsleiter betrog. Als bei einer Liebesszene kurz ein Stück nackter Oberschenkel ins Bild kam, seufzte Jachjajew ergriffen und legte seine Hand auf den Schenkel der Tichonowa.
Der Film war geschickt geschnitten: Nach dem nackten Oberschenkel folgte ein Bild von der Front mit einem krachenden Granateinschlag, und in dieser Detonation ging völlig das Klatschen unter, mit dem Jachjajew eine Ohrfeige empfing.
Seitdem lief Mikola Victorowitsch gegen eine Betonwand. Was er auch an Geschenken heranbrachte – Novella Dimitrowna war nicht mehr geneigt, ihm mehr zu gönnen als ein hochmütiges Gesicht. Und ein braves Dankeschön.
Jeder wird begreifen, daß ein bloßes Dankeschön zuwenig für Jachjajew war. Bei allen anderen Frauen hatte ein gebratenes Hühnerbrüstchen oder eine mittelgroße Dauerwurst, die Jachjajew auch noch mit schmutzigen Kommentaren überreichte, vollauf genügt, flugs die Röcke hochwehen zu lassen. Immerhin war es eine gewisse Ehre, von dem Politkommissar belegt zu werden – aber weder Ehre noch seltene Geschenke konnten Novella reizen. Und so lief Jachjajew wie ein hechelnder Hund herum, wenn er Chefingenieur Morosow an der Trasse besuchte und die Tichonowa mit ihrem wippenden Hinterchen an ihm vorbeitrippelte. Auch sie trug natürlich als bewußte Sibirierin hohe Stöckelschuhe mit einem Bleistiftabsatz. Ihre Beine wirkten dadurch, unter den kurzen Shorts, wie die zierlichen Knöchelchen eines Rehs. Eine Wonne war ihr Anblick. Ein Paradiesvöglein war sie, das Jachjajew verwehrt wurde.
Jetzt gerade war er wieder von einem Besuch bei Morosow zurückgekehrt, hatte sich mit Novellas Anblick vollgepumpt und trug eine Laune mit sich herum, in der er Steine fressen konnte. Abukow kam gerade recht, als er ihm in den Weg lief.
»Wir haben etwas zu besprechen, Genosse!« sagte er, als Abukow vor ihm stand. »Gehen wir in mein Büro.«
Die Abteilung Jachjajews lag auf der anderen Seite der Kommandantur. Es war der gefürchtetste und verfluchteste Teil des Hauses. Abukow folgte Mikola Victorowitsch mit sorgenvollen Gefühlen, sah sich im Zimmer kurz um und nahm Platz unter einem Bild von Breschnjew. Jachjajew zog seinen staubigen Rock aus und ließ sich in einen Sessel fallen. Er schwitzte stark, und die Ähnlichkeit mit einem wassertriefenden Kugelfisch war verblüffend.
»Victor Juwanowitsch«,
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