Ein Kreuz in Sibirien
Bürger, der uns das gemeldet hat, habe ich belohnt. Zwei Tage dienstfrei von der Trasse. Arbeit als Kartoffelschäler in der Küche. Das ist wie ein Ostergeschenk.« Jachjajew legte die Hände aneinander und blickte über die Fingerspitzen zu Abukow hinüber. »Bleibt die große Frage: Wie kommt das Hühnerschenkelchen ins Lager?«
»Man müßte das Huhn fragen, Genosse.«
»Verkneifen Sie sich solche Witze, Victor Juwanowitsch. Haben Sie nicht Hühner gebracht?«
»Genau zweihundertsiebzig, Genosse. Steht in der Liste. Man kann sie, abgezeichnet von Gribow, einsehen. Nicht eines fehlt!« Abukow konnte es freihin sagen, denn es war die bereits berichtigte Liste nach der ›Umverteilung‹.
»Sicher ist nur eins: Ins Lager laufen konnte kein Huhn, sie waren alle ohne Kopf, ausgenommen und bratfertig. Ein Rätsel!«
»Für mich nicht«, sagte Jachjajew und lächelte breit. »Natürlich hat Gribow zweihundertsiebzig Hühner im Kühlraum liegen. Wieviel hat man in Surgut eingeladen?«
»Die Liste …«
»Ein Arschwisch, Abukow!« Jachjajew beugte sich etwas vor. »Daß ich mit Ihnen so frei spreche, sollte Ihnen doch sagen, daß ich großes Vertrauen in Sie setze. Es ginge auch anders: Ich hänge Sie an den Händen auf und binde Ihnen eine dicke, schwere Melone an die Hoden. Wer kann da noch schweigen? – Aber wozu solche Unfreundlichkeiten, wenn wir uns privat verstehen könnten? Mir schwebt da ein Schweinebraten vor, so um die sechs Pfund. Ein saftiges Nackenstück …« Jachjajew lehnte sich wieder zurück. »Versenken Sie diese Worte tief in Ihr Herz, Abukow. Sie sind nie gesprochen worden. Wir haben keine Zeugen. Verstehen wir uns?«
Und wie man sich verstand! Die Drohung war deutlich und massiv. Eine einzige Andeutung von Abukow in der Öffentlichkeit – und wie man einen Krümel vom Tisch fegt, so würde er hinter den Zäunen eines Lagers verschwinden. Abukow erhob sich abrupt. Lauernd starrte ihn Jachjajew über den Rand seines Weinglases an. Die trockene Nachtluft machte die Kehle kratzig beim vielen Sprechen.
»Ich will versuchen«, sagte Abukow steif, »bei meiner Fahrt am Montag etwas zu organisieren, Genosse Kommissar.«
»Zum Sonntag brauche ich es, Abukow!« Auch Jachjajew stand auf. »Diesen Sonntag.«
»Ich weiß nicht, wo man hier in der Taiga ein Schwein fangen kann. Ich bin noch neu hier …«
»Spielen Sie nicht den Blöden, der blöder ist als Mirmuchsin!« rief Jachjajew und lachte sogar mit spitzen Lauten. »Victor Juwanowitsch, im Magazin hängen mindestens zehn Schweinehälften.«
»Und wenn Sie selbst mit Gribow sprechen?« sagte Abukow harmlos.
»Eher fault mir die Zunge heraus!« Jachjajew schlug die Fäuste gegeneinander. »Ich könnte Sie mit wohlwollenden Augen betrachten, Abukow, wenn Sie mir einige kleine Gefallen erweisen würden …«
Abukow nickte und verließ Jachjajews Büro mit dem gütig lächelnden Breschnjew an der Wand. In der Hand hat er mich, wenn ich ihm den Braten besorge, dachte er, als er wieder draußen in der Nachtluft stand und über den großen Platz blickte. Alle Fenster waren dunkel, auch die vom Hospital, nur die Scheinwerfer auf den Wachttürmen tasteten das Gelände ab – die Barackenstraßen, die Palisaden, den freien Streifen vor den Zäunen.
Hinter dem Fenster der Gerätekammer des Lazaretts standen Larissa Dawidowna und Professor Polewoi. Sie hatten hier im Dunkeln gewartet – nun kam Abukow aus der Kommandantur heraus und ging langsam über den Platz zum Magazin. Nicht wie die anderen Fahrer schlief er in den Übernachtungsräumen neben der Werkstatt, sondern bei Mustai Jemilianowitsch.
»Lange war er bei Jachjajew«, flüsterte der Professor, obwohl sie hier niemand hören konnte. »Und zufrieden scheint er zurückzukommen. Ich sage es immer wieder: Eine Gefahr ist er, Larissa Dawidowna!«
»Er hat mir gestanden, daß er Angst hat.«
»Und wenn's nur eine dumme Rede war?«
»Es hörte sich nicht so an. Und dabei seine Augen …«
»Sieh ihn nicht als Mann an, Töchterchen, sondern als Gegner«, sagte Polewoi streng. »Ich weiß, der Blick einer Frau trübt sich, wenn die Seele mitsieht.«
»Dummheit, Fedja!«
»Du bist jung, schön und hungrig …«
»Zweiunddreißig bin ich schon!«
»Ein Alter, in dem eine Frau wie freiliegendes Zündpulver ist. Töchterchen, streu einem alten Mann wie mir keinen Sand in die Augen. Was soll's? Gefällt dir einer, nimm ihn zu dir in die Kammer! Jeden, der es in dir zucken läßt … nur bei
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