Ein Kreuz in Sibirien
sagte er, »ich weiß, daß Sie ein großer Patriot sind.«
»Ich bin Anwärter der Partei«, antwortete Abukow vorsichtig.
»Bekannt! Alles bekannt! Man erkundigt sich natürlich nach neuen Leuten. Überall hört man nur Gutes von Ihnen. Beim Zentraleinstellungsbüro habe ich nachgefragt, bei Ihrem Einsatzleiter in Surgut – überall das gleiche: Ein ehrlicher, braver, arbeitsfreudiger Mensch! So etwas wie Sie braucht das neue Sibirien.«
Abukow schwieg. Loblieder, von Jachjajew gesungen, können leicht zur Todesmelodie werden. Noch wußte man nicht, wohin er mit seinen Hymnen wollte – umsonst, das war so sicher, wie Regen aus Wasser besteht, rang sich Jachjajew keine guten Worte ab.
»Sie fahren den Kühlwagen Nummer 11«, sagte der kleine Dicke unvermittelt. Abukow lächelte nach innen. Die Nebel hoben sich, der Weg wurde klar. Auch Jachjajew war nur ein normaler und deshalb gieriger Mensch.
»Ja«, sagte Abukow einfach. Dabei dachte er: Warten wir ab, was der gute Genosse von der politischen Überwachung vorzuschlagen hat. Für mein Theater kann's nur von Nutzen sein. Auch in Rußland gehören zum Handreiben zwei Hände.
»Gribow ist mit Ihnen befreundet?«
»Nein, wir arbeiten zusammen. Befreundet bin ich mit Mustai Jemilianowitsch.«
»Wie kann man Freundschaft halten zu einem Blöden!« Jachjajew schüttelte den Kopf, bot Abukow Papyrossi an und holte sogar eine Flasche Wein. Einen fürsorglichen Gastgeber spielte er, aber je freundlicher er wurde, um so gefährlicher erschien er Abukow. Sogar auf die Schulter klopfte er Abukow, prostete ihm zu und ließ den süßlichen Wein genüßlich in der Mundhöhle rollen, bevor er ihn hinunterschluckte. »Kann ich bei Ihnen einen dicken Schweinebraten kaufen?« fragte er unvermittelt. Abukow hatte auf so etwas gewartet – die Überraschung mißlang. Jachjajews Kugelfischgesicht war voll starrer Lauer.
»Nein!« Abukow schüttelte heftig den Kopf. »Bin ich ein Fleischer?«
»Sie transportieren Fleisch!«
»Das ist etwas ganz anderes.«
»Wollen Sie damit ausdrücken, mein lieber Victor Juwanowitsch, daß während des Transportes nicht eine minimale Schrumpfung eintritt?«
»Wie sollte sie das? Es ist ein Kühlwagen. Knackfrisch eingeladen – knackfrisch ausgeladen. Kein Schwund!«
»Benehmen Sie sich nicht blöder als jeder normale Mensch!« sagte Jachjajew unwillig. »Wenn es zum Beispiel während der Fahrt rappelt, guckt man doch nach, was es ist.«
Abukow hob abwehrend die Hände. »Der Wagen ist plombiert, Genosse«, rief er fast entsetzt. »In Surgut wird die Plombe draufgeklemmt, und hier im Lager entfernt sie Gribow. Er achtet peinlich genau auf eine Unverletztheit. Kam bei meiner ersten Fahrt sogar mit einer Lupe und tastete den Draht ab. Keine Manipulation möglich, Genosse.« Abukow richtete sich im Sitzen stolz auf. »Außerdem: So etwas täte ich nie!«
»Dann sind Sie ein Heiliger, Abukow!«
»Seit der Oktoberrevolution gibt es für einen Kommunisten keine Heiligen mehr.« Abukow blickte geradezu militärisch stramm gegen die Wand. »Religion ist Opium fürs Volk, sagte Lenin!«
»Victor Juwanowitsch, Sie haben den gleichen Namen wie mein Vater, das sollte uns ein wenig verbinden.« Jachjajews schleimige Art war wie ein klebriger Regen, der an einem haftenblieb. »Seien wir doch ehrlich miteinander.«
»Nichts anderes tue ich, Genosse.«
»Gribow klaut, Sie klauen, alle klauen, von Leningrad bis Alma Ata! Halunken alle, so weit man blicken und ahnen kann. Nur Sie wollen eine Ausnahme sein?«
»Ich bin Kandidat der Partei und …«
»Wo kommt das Hühnerschenkelchen her, das man im Lager gefunden hat?«
»Man hat ein Hühnerschenkelchen …?« Abukow hob die Schultern. Was ist da hinter den Palisaden passiert, dachte er blitzschnell. Wie konnte das vorkommen? Wer war da unvorsichtig gewesen? Brach alles, was man so vorsichtig aufgebaut hatte, schon nach der ersten Aktion zusammen durch die Dummheit eines einzelnen?
»Beim Torposten erschien ein braver Bürger und brachte den Hühnerschenkel. ›Hab ihn gefunden unter einem Holzstapel‹, meldete er. Ein wirklich guter Genosse; liefert ihn ab, statt ihn selbst zu fressen. Sofort wurde mir das gemeldet. Was habe ich befohlen? Keine plötzliche Razzia! Wozu auch? Man wird nichts finden, das kenne ich. Völliges Schweigen habe ich angeordnet. Aber irgendwann, wenn sie sich alle so sicher fühlen, schlage ich zu. Dann lasse ich sogar den Boden unter den Baracken umgraben. Den treuen
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