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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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etwas Fernes, an etwas Schönes, träum dich weg von diesem Platz, diesen Scheinwerfern, dieser Musik, die dich zerfrißt. Was schreien die Lautsprecher jetzt? Die fünfte Sinfonie von Tschaikowsky. Erinnere dich doch … der Konzertsaal im Kulturpalast von Rostow. Es spielt das Sinfonieorchester unter Leitung von Anatoli Alexandrowitsch Iwantschenko. Solist: Der berühmte Pianist Vitali Semjonowitsch Lepkin. Das 2. Klavierkonzert von Beethoven. Dann Tschaikowsky. Du sitzt in der fünften Reihe, seitlich links, ein guter Platz, kannst den Dirigenten im Profil sehen und wie er beim Dirigieren die Augen schließt, völlig entrückt, versunken in die herrlichen Töne, und du stößt Alewtina, deine Frau, an und blinzelst ihr zu. Welch ein Erlebnis, dieses Konzert. Und wunderschön sieht sie aus, Alewtina, deine Frau. Im schwarzen Haar hat sie eine silberne Stoffblume. Das festliche Kleid aus Kunstseide liegt eng um ihren Körper. Welch wohlgeformte Brüste sie hat, und wie schlank ist der Hals, und ihre Lippen lächeln glücklich. Und nun schließt auch sie die Augen, als das Adagio beginnt, diese unbegreifliche Zärtlichkeit im Spiel der Geigen und Celli. Du lehnst dich zurück, blickst an die goldgestuckte Decke und zuckst zusammen, weil das Programm in deinem Schoß knistert. Du bist der angesehene Architekt Genosse Maxajew, nach dessen Plänen man das Sportstadion von Taganrog gebaut hat. Überall gern gesehen, überall geehrt, ein schönes Leben hast du erreicht, Genosse. Hast eine schöne Frau, drei Kinderchen, eine Wohnung in Rostow, eine kleine Datscha am Asowschen Meer, darfst in den bevorzugten Prominentenläden kaufen … O klammere dich fest an dieses Leben!
    Fünf Stunden. Die ersten waren umgefallen. Keiner hob sie mehr auf und stützte sie – man ließ sie liegen. Zusammengekrümmt lagen sie über den Füßen der noch Stehenden oder lang hingestreckt, wenn sie aus der ersten Reihe gefallen waren. Die meisten röchelten mit offenem Mund, das Gesicht nach oben, aber es lagen auch welche da mit dem Gesicht im Staub und saugten mit jedem Atemzug ein Stück pulverisierter Erde ein.
    Aus den Lautsprechern dröhnte fröhliche Musik. Die Fledermaus von Johann Strauß. Ein heller Bariton sang in deutscher Sprache: »Brüderlein und Schwesterlein woll'n wir alle sein, stimmt mit mir ein.«
    Und die Sonne ging auf über den Sümpfen und dem unendlichen grünen Meer der Wälder. Nur kurz war das Morgenrot, das flüssiges Gold über die Taiga goß, ein Aufzucken erwachenden Lichts – dann war die Sonne da, weißlich und rund, sofort heiß und gnadenlos, wie alles in diesem Land gnadenlos war: die Ströme nach dem Eisbruch, der Boden nach dem Tauen, die Wölfe im Hungerfrost. Und der weite Himmel, der Eiseskälte und Sonnenglut schickte.
    Gegen sieben Uhr morgens – die Hitze war schon erdrückend, aus den Wäldern stieg der Dunst hoch, die Sümpfe stießen faulig riechenden Nebel aus – erschien Oberstleutnant Rassim am Lagertor. Er war frisch rasiert und trug ein leuchtendweißes Hemd unter der Uniformjacke. Das war gegen alle Kleidervorschrift, denn das militärische Sommerhemd hat einen grünerdigen Ton – aber es sah geradezu feiertäglich aus, so, als ginge Rassim zu einem Fest. Die Lautsprecher ließen wieder Marschmusik über das Land dröhnen.
    Zwischen dem Lager und dem Hospital hatte sich seit einer Stunde ein reger Verkehr entwickelt. Fünf Tragen waren ständig unterwegs, um die Zusammengebrochenen, deren Zustand ernst war, wegzuschaffen in das Lazarett. Larissa Dawidowna ging seit zwei Stunden durch die Reihen, kniete neben den Ohnmächtigen, hörte ihren Herzschlag ab, schob die Augenlider hoch und bezeichnete dann mit lauter, heller Stimme die Elenden, die wegzubringen seien. Dem Kommandierenden der 2. Wache, Oberleutnant Lyssikow, der Leutnant Sotow abgelöst hatte, erklärte sie: »Wenn Sie mich an meiner ärztlichen Pflicht hindern, bekommen Sie in aller Öffentlichkeit Ohrfeigen. Vor dem Militärgericht in Swerdlowsk sprechen wir uns dann weiter. Wollen Sie, Genosse Lyssikow? Also – aus dem Weg!«
    Lyssikow ließ es nicht darauf ankommen, vor den Häftlingen und den Soldaten geohrfeigt zu werden. Der Tschakowskaja war das zuzutrauen, also schien es klüger, im Augenblick nachzugeben. Warten wir ab, was geschieht, wenn der Kommandant erscheint. Rassim zu schlagen, das würde auch für Larissa Dawidowna unmöglich sein.
    Nun rannte Rassim über den großen Platz, baute sich auf dem Weg zum

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