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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Oberleutnant Lyssikow.
    »Sie bleiben stehen!« sagte er dumpf. »Machen Sie mir Meldung, wenn der letzte dieser Halunken im Dreck liegt.«
    Es zeigte sich gegen zehn Uhr am Vormittag, daß Rassims Aktion nicht so glatt und unbemerkt zu Ende zu führen war, wie er angenommen hatte. Ein Hubschrauber knatterte über die Baumwipfel, ging tiefer, umkreiste den Lagerbereich und landete dann auf dem großen Platz vor der Kommandantur. Rassul Sulejmanowitsch und seine dienstfreien Offiziere standen im Eingang des Gebäudes, auch Jachjajew war aus seinem Büro gekommen. Der Hubschrauber, erdbraun gestrichen und nur mit einer roten Nummer versehen, war keine Militärmaschine, sondern gehörte zur Planungsabteilung der Pipelinebau-Einsatzleitung. Mit ihm flogen die Ingenieure die Trasse ab, oder sie benutzten ihn als Taxi zwischen den einzelnen Baugruppen und dem Büro in Surgut.
    Jachjajews Herz machte einen Sprung, als erst Chefingenieur Morosow aus dem Hubschrauber kletterte und hinter ihm, mit wehenden Haaren, die schöne Novella Dimitrowna. Sie sprang auf den Boden, ein Windstoß hob ihren Rock, ein weißes Höschen trug sie, so knapp wie ein Strich zwischen den weißen Schenkelchen. Schnell drückte Novella den Rock wieder über ihre schlanken Beine und lief kokett, auf hohen Stöckelschuhen, ein paar Schritte von den sich noch träge drehenden Rotorblättern weg.
    »Wer ist denn das?« knurrte Rassim und blickte dabei Jachjajew an.
    »Der Chefingenieur Wladimir Alexejewitsch Morosow.«
    »Das Weibsstück meine ich! Morosow kenne ich doch.«
    »Novella Dimitrowna Tichonowa, die Sekretärin.«
    »Die kennen Sie, natürlich, die kennen Sie, Mikola Victorowitsch!« sagte Rassim voll Spott. »Wo so ein Rock weht, schnüffeln Sie wie ein geiler Hund. Will man meine Truppe verrückt machen? Was fällt Morosow ein, sie mitzubringen? Sehen Sie sich das an: Kurzes Röckchen, eine Bluse zum Durchgucken, trippelt daher wie eine Henne, kann kaum gehen in den hohen Absätzen. Ja, wo sind wir denn hier?« Er blickte sich nach seinen Offizieren um und grinste böse. »Alle plötzlich mit Glotzaugen! Meine Herren, welche Krankheit hat Sie überfallen?«
    Morosow kam näher, während Novella Dimitrowna um den Hubschrauber herumging und sich zum Lagertor wandte. Von dort kam Abukow zurück, von der Erschütterung und einem neuen Schuldgefühl niedergedrückt. Der Anblick der in Dreck und Kot liegenden, ohnmächtigen Männer – jetzt schon über achthundert – war nicht mehr zu ertragen. Zum erstenmal begriff er, daß ein Mensch fähig sein kann, ohne Reue einen anderen Menschen umzubringen, mit den eigenen Händen. Rassim zu töten, wäre – und Abukow erschrak als Priester zutiefst über solche Gedanken – auch für ihn in diesen Minuten eine Freude gewesen.
    Mitten auf dem Platz trafen sie aufeinander: Novella Dimitrowna blieb stehen und streckte Abukow beide Hände entgegen. Ihre tiefblauen Augen strahlten in echtem Wiedersehensglück. Wie ein Püppchen aus Porzellan sah sie aus, mit Rouge auf den Wangen, roten Lippen, nachgezogenen Augenbrauen, Lidschatten und getuschten Wimpern.
    »Wie schön, Sie zu sehen, Victor Juwanowitsch!« rief sie und drückte seine Hände an ihre Brüste. Jeder andere Mann hätte sofort die Finger darum geschlossen – Abukow nickte nur und zog seine Hände zurück.
    »Sie erinnern sich an mich?« fragte er. Sein Lächeln sollte Freundlichkeit sein – für Novella war es wie ein zärtliches Streicheln.
    »Wie können Sie das fragen? Ich habe viel an Sie gedacht. Zuletzt, als Sie mit Ihrem Kühlwagen bei uns waren, haben Sie von Ihrem Theater erzählt. Das hat mich beschäftigt. Ich möchte mitspielen – und wenn's nur eine ganz kleine Rolle ist. Ein Tablett herumtragen oder eine Fahne schwenken: Ich mache alles!«
    Morosow hatte unterdessen Rassim erreicht und streckte den rechten Arm zum Lager aus:
    »Was ist denn hier los, Genosse Kommandant?« rief er aufgeregt. »Wir warten an der Trasse auf die Brigaden, aber niemand kommt! Wie können wir das Soll erfüllen, wenn Sie die Arbeitskräfte wie Trockenfische in die Sonne legen? Von oben hab ich's genau gesehen … Geben Sie mir einen Rat, wie ich das begründen soll, wenn ich der Zentrale melde: Am Freitag kein Einsatz des Lagers 451/1?!«
    »Vergessen Sie für einen Tag diese Nummer, Wladimir Alexejewitsch!« antwortete Rassim grollend.
    »Wie könnte ich? An der Trasse XVI ruht die Arbeit völlig, das muß gemeldet werden. Und was wird morgen sein?

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