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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Trassenführung, hieben die Rohrgräben aus, entzündeten in dem aufgebrochenen Boden Tausende kleiner Feuer, wärmten die Erde auf und rissen mit ihren knochigen Händen Meter um Meter das Bett für die Gasrohre in den nie tauenden Untergrund.
    Aber auch im heißen Sommer, wenn die Bagger und Schaufler besser vorankamen, war der Einsatz der Strafgefangenen wichtig und unentbehrlich: Die Schneisen mußten durch die Taiga geschlagen, Straßen und Brücken durch und über das Sumpfgebiet geführt werden. Es galt, neue Barackenstädte zu bauen, Magazine, Lagerhallen, Garagen für die wertvollen Maschinen, Werkstätten, Montagehallen und sogar feste Wohnhäuser, in die einmal die Streckenwärter mit ihren Familien einziehen sollten. Das alles gehörte zu den Aufgaben der Straflager, in Chefingenieur Morosows Gebiet von Surgut also der Lagergruppe JaZ 451/1. Man konnte sich nach Plan keinen einzigen Tag Ausfall leisten. Es stand nur soviel Zeit zur Verfügung, wie man es in Moskau am grünen Tisch errechnet hatte, und das war wie ein heiliges Gebot. Das Jahr 1984, in dem das sibirische Erdgas vom Anfang der Leitung in Ushgorod bis nach Europa fließen sollte, war – von Morosows Kenntnis der Dinge aus gesehen – so greifbar nahe, daß es ihn im Nacken juckte, wenn er Monate vorausdachte und sich fragte: Wie ist das zu schaffen?
    Es war deshalb keine Unhöflichkeit, sondern die Angst um Termine, als Morosow bei der Ankunft im Lager JaZ 451/1 angesichts der in der Sonnenglut ohnmächtig umfallenden Arbeitssklaven dem Kommandanten Rassim grußlos entgegenrief:
    »Was ist denn hier los?«
    »Kommen Sie erst mal herein, Genosse!« antwortete Rassim, nachdem er sich Morosows Klage angehört hatte. »Es gibt Situationen, die …«
    »Es gibt nur ein Soll, das ich erfüllen muß!« unterbrach ihn Morosow grob. Er blickte sich um. Die Offiziere, die ihn umringten, sahen ihn aus stumpfen, regungslosen Gesichtern an. Auch der kleine, dicke Jachjajew, der mit schwerem Atem beobachtete, wie sich die süß anzusehende Novella Dimitrowna in den Arm dieses widerlichen Abukow hängte, warf einen Blick auf ihn, der kalt war und glotzend wie von einem Frosch.
    »Was geht hier vor?« fragte Morosow noch einmal, ohne die Kommandantur zu betreten, obwohl Rassim einladend in der offenen Tür stand. »Statt die Brigaden zur Arbeit zu schicken, lassen Sie sie im Lager stehen. In der prallen Sonne! Wie lange schon?«
    »Es werden jetzt gut zehn Stunden sein«, sagte Rassim freundlich.
    Morosow riß den Mund auf. »Das … das ist ja Mord …«, stotterte er entsetzt.
    »Genau das ist es! Hier ist ein Mord geschehen. Im Lager! Ein Genosse, der auf dem Weg der Besserung war, ist umgebracht worden. Der Mörder soll sich melden, oder man soll den Mörder ausliefern. Das ist nicht geschehen – bis jetzt nicht. Die Leute werden so lange auf ihrem Platz bleiben, bis der Schuldige sich gemeldet hat.« Rassim sah Morosow voller Trotz an. »Halten Sie jetzt den Mund, Genosse. Ich will von Ihnen keine Kritik! Von keinem! Das hier ist meine Sache!«
    »Sie vernichten das ganze Lager, Rassul Sulejmanowitsch!« Morosow blickte hinüber zu den Palisaden. Er konnte nicht sehen, was sich dahinter abspielte, aber er konnte es ahnen nach dem, was er aus dem Hubschrauber gesehen hatte. »Wieviel stehen denn noch?«
    »Das wissen wir gleich.« Rassim winkte, ein Leutnant verschwand in der Kommandantur, rief von dort bei der Torwache an und kam schnell wieder zurück:
    »Schätzungsweise noch 49. Sie halten sich zu Paaren oder zu dritt gegenseitig fest.«
    »49 von 1.200«, sagte Morosow rauh. »Worauf warten Sie noch, Rassim?«
    »Auf den Mörder.«
    »Mit dieser Methode bekommen Sie ihn nie.« Morosow atmete schwer. »Ich möchte ins Lager gehen und jedem die Hand drücken. Kameradschaft bis zum Krepieren – wo gibt es die noch?«
    Jachjajew verzog sein Gesicht, als habe man ihm zwischen die Beine getreten. Er hatte nur zwei Probleme, mit denen er fertig werden mußte: Einmal sah er, wie Novella Dimitrowna, das zarte Schwänchen, dem Saukerl von Abukow einen Kuß auf die linke Wange gab. Zum zweiten machte Chefingenieur Morosow gefährliche Bemerkungen, die er – Jachjajew – als politischer Kommissar nicht überhören durfte. Auch ein Mann mit der gegenwärtigen Machtfülle Morosows stand auf einem tönernen Podest, das unvermutet zerspringen konnte. Das beste Beispiel war der ehemalige General Tkatschew. Kommandierte vor zwei Jahren noch ein Armeekorps –

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