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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Kasimir Kornejewitsch – ich brauche Fleisch für 1.300 Portionen …« Das war der Augenblick, wo Gribow spürte, wie eine flache Welle Blut in sein Gehirn spülte. Er schlug die flache Hand vor die Stirn, keuchte und rollte mit den Augen. »Wer … wer hat das befohlen?« fragte er.
    »Die Genossin Tschakowskaja.«
    »Wie kann sie über das Essen bestimmen? Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie soll sich um die Drückeberger kümmern, um die Kranken von Beruf – genug hat sie da zu tun. Die Genossin Ärztin verteilt Essen! Ha, wo kommen wir denn hin? Und du machst auch noch einen Buckel und sagst: So soll es sein, Genossin, was? Nicht ein Gramm mehr gebe ich heraus.«
    »Die Kommandantur hat es bestätigt, Kasimir Kornejewitsch«, sagte die dicke Leonowna mit deutlichem Bedauern.
    »Sie hat …?« Gribow riß die Augen voll Entsetzen auf. »Sie hat …«
    »Ja. Nicht glauben wollte ich es, wie jetzt du. Gehe also hinüber zu Rassim, lasse mich melden und frage: ›Ist das wahr mit der dicken Kartoffelsuppe?‹ Und er antwortet: ›Ja!‹ Frage ich weiter: ›Mit Fleischeinlage?‹ Schreit er mich an: ›Mit Fleisch!‹ Frage ich zum drittenmal: ›Bestimmt ist's ein Fehler, daß ich keinen Kalender habe. Was ist los? Ein hoher Feiertag? Ist Stalin wieder auferstanden?‹ Und was macht Rassim? Er wirft mir ein Buch an den Kopf und brüllt: ›Verschwinde, du gerupftes Vieh! Suppe mit Fleisch!‹ Ich wie der Blitz aus dem Zimmer, hinüber zur Verwaltung. Sage dort: ›Der Genosse Kommandant befiehlt Kartoffelsuppe mit Fleisch! Das muß ich schriftlich haben. Gribow ist ein ordentlicher Mensch, gibt nur heraus gegen Quittung!‹«
    Sie holte einen Zettel aus der Schürzentasche und warf ihn Gribow zu. »Hier ist er. Anforderung von 30 Pfund Suppenfleisch … Das sind pro Kopf ganze zehn Gramm.«
    Gribow stöhnte und vergrub den Kopf in seine Hände. »Eine Katastrophe ist das. Dreißig Pfund … Woher nehmen?«
    »Im Kühlhaus liegen doch.«
    »Sie sind versprochen! Bereits verkauft! Am Samstag soll ich sie liefern. Nach Tobolsk sollen sie gehen … Ein Weltuntergang!«
    »Du hast nicht einen Krümel Fleisch mehr?«
    »Nur für die Offiziere.«
    »Dann nimm das!«
    »Und wenn es Rassim gefällt, am Sonntag ein großes Essen zu geben? So eine Ahnung habe ich. Er wird die Ingenieure einladen, um sie zu besänftigen.« Gribow schluchzte auf. »Ich bin ein gebrochener Mensch.«
    »Wir werden Hühnchen backen.«
    »Aber wenn er einen Braten will?«
    »Das ist ein Ausweg.« Nina Pawlowna erhob sich und klopfte Gribow auf den gebeugten Rücken. »In die Suppe kochen wir Hühner. Sind Hühner kein Fleisch, na?«
    Am Abend gab es also Suppe mit Fleischfasern, und es war völlig gleichgültig, ob es Rindfleisch oder Hühnerfleisch war. Gribow stand selbst neben den Kesseln in der Küche, als die Essenträger aus dem Lager anrückten und die Küchenhilfen mit großen Kellen die Suppe in die Kanister löffelten.
    Sein Herz zuckte schmerzlich zusammen, als er sah, wie schnell sich die Suppenkessel leerten. Tröstend allein war, daß er für diese Sonderzuteilung einen Anforderungsschein der Lagerverwaltung hatte. Mit ihm konnte Abukow in Surgut beim Leiter der Verpflegungszentrale, dem Genossen Smerdow, vorsprechen und den Lagerbestand wieder auffüllen lassen.
    Auch Kommandant Rassim ließ es sich nicht nehmen, in der Küche zu erscheinen, in der dicken Suppe zu rühren und einmal kräftig in sie hineinzuspucken. Bei einigen hundert Litern machte das kaum etwas aus, und es war für ihn wichtig als Symbol.
    Im Hospital saß die Tschakowskaja allein in ihrem Wohnzimmer, eingehüllt in einen seidenen usbekischen Kaftan und unter dem Stoff nackt. Ihre Nerven flimmerten noch immer, wie winzige elektrische Schläge durchzog es ihren schönen Körper. Ihre Lippen zitterten wie im Frost, und wenn sie die Hände hob, hätte man hinspringen mögen, um sie festzuhalten, so flatterten sie.
    Rassim, der – aus der Küche kommend – nach einem kurzen Anklopfen eintrat, sah sie verwundert an. Was ist hier passiert, dachte er sofort. Das ist eine andere Tschakowskaja! Trotzdem sagte er zunächst das, wozu er gekommen war:
    »Ihre Schützlinge schmatzen jetzt dicke Suppe. Über dem Lager liegt ein Klang wie über einem großen Saustall. Wenn nachher Hunderte von Fressern rülpsen, werden sich die Dächer heben! Zufrieden?«
    »Danke«, sagte die Tschakowskaja mit halbierter Stimme.
    »Sind Sie krank, Larissa

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