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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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steckte. Im Winter sah man nur ihr Gesicht als hellen Fleck aus der dicken Steppkleidung herausschauen. Oder sie war eingemummt in einen Wolfspelz mit Kapuze. Allerdings: An den Sonntagen im Sommer lief sie herum wie in der Stadt. Da konnte sie ganz knappe Shorts tragen, hochhackige Schühchen und dünne Blusen. Da ließ sie ihr Haar frei wehen oder band es mit bunten Seidenbändern fest; ein paarmal hatte sie es sogar zu Zöpfen geflochten, was ihr beinahe ein rührend kindliches Aussehen verlieh – wären nicht die wohlgeschwungenen Hüften gewesen und der unübersehbare, aufreizende Busen.
    Kein Neid, Genossen! Gönnt doch Novella Dimitrowna diese kleinen, harmlosen Modevergnügungen. In Wirklichkeit gab es beim Bau der Pipeline gar keinen Sonntag, weil nämlich die Woche durchgearbeitet wurde. Die Baubrigaden waren so eingeteilt, daß sie einmal im Monat einen freien Sonntag hatten – auf die anderen Ruhetage wurde der großen Aufgabe zuliebe ›freiwillig‹ verzichtet. Man tat es für die Eroberung Sibiriens. Morosow hatte dank seines pausenlosen Einsatzes, der seine Kollegen einfach mitriß, schon den Orden ›Roter Stern‹ bekommen, als er noch einen großen Abschnitt im Gebiet von Kungur leitete.
    Novella war da anders, eine regelrechte Individualistin war sie: Sie lebte nach dem Kalender. War da Sonntag angegeben, dann war eben Sonntag! Sie badete sich am Morgen, shampoonierte ihr Haar, kleidete sich festlicher, schminkte sich und verbrauchte mehr Parfüm. Morosow sah sie an solchen Tagen an, schnupperte und sagte: »Was, schon wieder Sonntag? Die Zeit rast!«
    Lange hatte es gedauert, ehe die Ingenieure an der Trasse in den Konstruktionsbüros und in den Verwaltungen begriffen, daß eine luftige Bluse oder ein enger Rock bei Novella Dimitrowna noch lange nicht eine Aufforderung darstellte, nun auch die zur Schau freigegebene Haut einfach anzufassen. Es gab da genau neun Genossen, die von der Tichonowa kräftig geohrfeigt worden waren, als sie Offenherzigkeit mit Unmoral verwechselten und sich wie balzende Auerhähne benahmen. Es hatte deswegen sogar Prügeleien in den Baracken gegeben, Strafversetzungen und Ehedramen – ja, zweimal war Novella von grundlos eifersüchtigen Ehefrauen bespuckt und mit Obst beworfen worden, nur weil die Männer Fotos, die ohne Wissen Novellas gemacht worden waren, in ihren Taschen herumtrugen. Die ahnungslose Tichonowa konnte schließlich nichts dafür, wenn ein braver Familienvater verzückt auf die Rückseite der Fotografie schrieb: Mit ihr im Bett – das vorweggenommene Paradies!
    Ein paarmal hatte man Morosow nahegelegt, sich von seiner Sekretärin zu trennen, aber jedesmal sagte er: »Sie ist tüchtig, umsichtig, klug, eingearbeitet – ich finde keine bessere. Sie bleibt! Wenn meine Ingenieure Probleme haben, sollen sie sich kastrieren lassen. Ich habe keine Probleme.«
    Das war deutlich und machte weitere Diskussionen überflüssig. Einmal im Monat flog Novella mit dem Hubschrauber nach Tjumen und kaufte ein. Es war das einzige Vergnügen, das man sich von seinem hart erarbeiteten Geld in Sibirien gönnen konnte. Sie kaufte neue Kleidchen, Make-up, Puder und Lippenstifte, zarte Unterwäsche und Nylons, Modeschmuck und Parfüm – es gab ja alles in den neuen Geschäften und Selbstbedienungsläden, vor deren Angebot die Menschen in den Städten jenseits des Urals ergriffen die Hände gefaltet hätten. Kam Novella dann nach Surgut zurück, ging einmal über die Hauptstraße, knirschten die anderen Frauen mit den Zähnen und wünschten ihr die Hölle an den schönen Leib.
    »Sie ist schön wie eine Elfe, aber kalt wie ein Eiszapfen!« sagte man von ihr. Wie kann ein Weibchen mit solch erotischer Ausstrahlung so mit Eisen gepanzert sein? Wider die Natur ist das. Da muß es ein unbekanntes Geheimnis geben …
    Doch Novella war nicht kalt, nicht gefühllos. Das zeigte sich jetzt, als sie vor Abukow und Larissa schockiert zusammensank und von Übelkeit übermannt wurde. Abukow hielt sie fest und starrte die Tschakowskaja an, die gerade mit groben Worten die hilflose Novella noch zusätzlich gepeinigt hatte.
    »Warum helfen Sie nicht?« sagte er laut.
    »Ich habe 1.200 todkranke Patienten. Für ein kotzendes Mädchen habe ich keinen Platz.«
    »Lassen Sie sie, Victor«, stöhnte Novella Dimitrowna und lehnte sich gegen Abukow. »Schon besser geht's mir. Viel besser … Können wir in den Schatten gehen?«
    »Am besten ist das Matratzenmagazin«, sagte die Tschakowskaja

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