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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zufrieden.
    »Was heißt endlich?«
    »Sie haben den Segen des Wodkas erkannt, Larissa Dawidowna.«
    »Ich brauche die Fahrzeuge, um die Entkräfteten zur Pipeline zu fahren«, fuhr die Tschakowskaja kühl fort. »Dort lasse ich sie auskippen wie Säcke, und Morosow soll sehen, was er mit ihnen anfangen kann.«
    »Die Leute haben einen Tag Zeit, sich zu erholen!« schrie Rassim wütend. »Wo sonst gibt es das? Übermorgen um fünf Uhr früh stehen die Brigaden zum Abmarsch bereit, oder ich klopfe jeden einzelnen aus dem Bett!«
    Er warf den Hörer hin, und auch die Tschakowskaja legte auf. »Ich kann Ihnen gar nichts versprechen, Wladimir Alexejewitsch«, sagte sie und zuckte die schmale Schulter. »Aus ausgedörrtem, rissigem Leder kann man keine Schuhe mehr machen … Wann fliegen Sie zurück?«
    »Sofort, Genossin Chefärztin.« Morosow wich irritiert dem lockenden Blick ihrer Augen aus. »Warum fragen Sie?«
    »Ich trage da ein paar bescheidene Wünsche mit mir herum.« Sie winkte ab. »Erledigt!«
    »Wenn ich sie vielleicht doch erfüllen könnte, Genossin?«
    »Es wäre schön gewesen, gemeinsam zu essen und einen ganzen Tag zu verbummeln. Dann hätte ich gern Ihren Arbeitsbereich gesehen, Wladimir Alexejewitsch: die Trasse, die Rohrmontage, wie Sie wohnen und wie Sie leben. Wissen Sie, wann ich das letztemal in Tjumen war? Im April! Ich komme aus dem Lager nicht heraus. Man ist hier fast selbst eine Gefangene.«
    »Wir haben alle zuwenig Zeit«, sagte Morosow und blickte an der Tschakowskaja vorbei. Die Nähe dieser schönen, verführerischen Frau versetzte ihn in eine noch nie erlebte Unsicherheit. »Da glaubt man überall draußen, in Sibirien spiele Zeit keine Rolle – welch ein Irrtum! Ein Jahrzehnt ist zu kurz, um ein Gebiet zu erobern, über das man mit einem Hubschrauber eine halbe Stunde fliegt. Larissa Dawidowna, ich muß heute wieder an der Baustelle sein. Aber ich nehme Sie gern mit.«
    »Heute nicht. Meine Kranken …«
    »Sagen Sie einen Tag, an dem ich Sie abholen lassen soll …«
    »Ich gebe Ihnen Nachricht, Morosow.«
    Sie ging zu einem weißlackierten Blechschrank, schloß ihn auf und holte eine Flasche grusinischen Kognak heraus. Morosow blinkerte mit den Augen und schnalzte mit der Zunge.
    »Ich trinke wenig, fast nie«, sagte sie. »Meinen Grusinischen bekommen nur beste Freunde zu Gesicht.«
    »Sie rechnen mich dazu, Larissa Dawidowna?«
    »Ich hoffe, daß Sie sich als guter Freund erweisen.« Sie setzte sich neben den mit einem weißen Gummituch bezogenen Untersuchungstisch und klemmte die Kognakflasche zwischen ihre Schenkel. Ihre dunklen Augen waren unruhig. »Ich bin umgeben von zweitausend Menschen und doch so allein wie auf einer unentdeckten Insel.«
    »Wie kann ich Ihnen helfen, Larissa?« Er trat näher und stand nun dicht vor ihr. Sie blickte wieder auf seine breite behaarte Brust unter dem offenen Hemd, roch seinen herben Schweiß und blähte die Nasenflügel. Verrückt bist du, dachte sie; was ist bloß in dich gefahren, Larissanka? Stoß ihn weg. Sofort stößt du ihn weg!
    Aber sie sagte: »Kümmern Sie sich um mich, Morosow.«
    »Wenn ich es kann …« Über sein Gesicht glitt ein Zucken.
    »Sie können.« Den Kopf hob sie und schlug dabei beide Hände um die Flasche, als wolle sie das Glas zerdrücken. »Küssen Sie mich, Wladimir Alexejewitsch … Küssen Sie mich sofort!«
    Er tat es. Und wunderte sich nicht einmal darüber, daß ihre Lippen so kühl waren, als habe sie gerade Eiswasser getrunken.
    Am Abend gab es eine dickere Kartoffelsuppe als bisher. Sogar faseriges Fleisch schwamm darin; die Sträflinge fischten es aus der Brühe, legten es auf die Handfläche und bestaunten die Fleischbröckchen, beschnupperten sie und gaben sich dann dem Genuß hin, jedes Faserchen einzeln in den Mund zu stecken, über die Zunge rollen zu lassen, den Gaumen damit zu streicheln und es erst dann hinunterzuschlucken.
    Vorher aber hatte es zwei Stunden lang ein großes Geschrei gegeben. Nina Pawlowna, die Küchenleiterin, war bei ihrem dicken Freund Gribow erschienen und hatte sich schwer auf einen Stuhl gesetzt.
    »Eine dicke Suppe wird verlangt mit Fleisch«, sagte sie. »Kartoffeln habe ich genug, das Fleisch mußt du rausgeben.«
    »Genügen fünf Pfund?« fragte Gribow ahnungslos. »Wir haben zwölf Offiziere. Fünf Pfund in die Suppe geschnitten, das sieht gut aus. Braucht nicht jeder gleich ein Pfund zu fressen.«
    »Zwölf?« sagte die Leonowna und tippte sich an die Stirn.

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