Ein Kuss für die Ewigkeit
den er leise fluchend zur Seite schlug. Er sollte wirklich besser aufpassen, wo er hintrat. Vielleicht hätte er dann auch die Hunde früher gehört und ein besseres Versteck gefunden, als er auf dem Rückweg aus dem Dorf war, wo er gehofft hatte, möglicherweise etwas über Finn und die Dame zu erfahren.
Aber hätte er nicht auf diesem Baum Schutz gesucht, wäre ihm vielleicht verborgen geblieben, was mit Finn passiert war.
Was er Keldra berichten würde, entschied er erst in dem Moment, da sie auf ihn zugelaufen kam. Angst und Hoffnung waren ihren leuchtenden Augen anzusehen, und sie wirkte auf ihn so zart und geschmeidig wie das Reh, das er am Morgen ungewollt aufgescheucht hatte.
Ein Gefühl regte sich in ihm, das er nie zuvor verspürt hatte. Er konnte es nicht beschreiben, aber er wusste, er wollte nicht derjenige sein, der ihre Hoffnungen zerschmetterte. Er konnte ihr nicht sagen, dass Finn verletzt war.
„Sie sind in Sicherheit“, versicherte er ihr, als sie vor ihm stehen blieb. „Das habe ich dir doch gleich gesagt, oder etwa nicht?“
Für eine alte Frau legte Greseld eine erstaunliche Schnelligkeit an den Tag, und Lizette geriet sogar ein wenig außer Atem, als sie ihr aus der Küche zurück in den großen Saal folgte. Sie hatte die Vorrats- und die Speisekammer gesehen, und sie war angemessen beeindruckt von der Auswahl an Speisen und von den Vorräten an Wein und Ale. Lord Wimarc genoss es, gut zu essen, und er scheute auch kaum Kosten und Mühen, seinen Soldaten etwas Vernünftiges servieren zu lassen.
Während die Männer auf der Jagd waren, erforschte sie auf eigene Faust die Burg, obwohl sie sich viel lieber wieder ins Bett gelegt hätte. Wieder hatte sie kaum ein Auge zugetan, obgleich Finn auf dem Fußboden geschlafen hatte. Sie konnte sich nicht erklären, warum er doch sein Bettzeug auf dem Boden ausgebreitet und warum er so lange Zeit am Fenster gestanden hatte. Am Morgen hatte sie ihn auch nicht danach gefragt, da sie nicht mit ihm reden wollte, als er sich anzog, um auf die Jagd zu gehen. Stattdessen gab sie vor, sie würde noch schlafen, weil es ihr als die einfachste Lösung erschienen war.
„Darf ich die alte Festung besichtigen?“, fragte sie Greseld. „Ich liebe solch alte Gebäude. Sie sind so faszinierend, findet Ihr nicht auch?“
Greseld schüttelte den Kopf, der selbst dann ein wenig zitterte, wenn sie sich gar nicht bewegte. „Das lohnt sich nicht, Mylady. Da gibt es nur das Verlies und im oberen Stockwerk die Privatgemächer Seiner Lordschaft. Dort lässt er niemanden hinein, und die Tür ist sogar dann abgeschlossen, wenn er sich darin aufhält.“
Falls der Mann einen Verrat plante, dann war dies der Ort, wo er belastende Dokumente aufbewahrte.
„Nicht einmal seinen Verwalter?“, fragte Lizette, wobei ihr bewusst wurde, dass ihr ein solcher Verwalter bislang noch gar nicht vorgestellt worden war. Er konnte unterwegs sein, um Abgaben einzutreiben, überlegte sie.
„Den hat er nicht. Er führt alle Bücher selber, und er treibt alle Zehnten und Steuern persönlich ein. Das macht er seit dem Tod seines Vaters, nachdem er gemerkt hatte, dass der Verwalter die Gelder in die eigene Tasche steckte.“ Greseld wurde etwas langsamer. „Fast wäre der Mann davongekommen, aber Seine Lordschaft spürte ihn wie ein Besessener auf, und als er ihn schließlich erwischt hatte, da zog er dem Mann bei lebendigem Leib die Haut ab.“
Lizette schüttelte sich vor Entsetzen.
„Sein Vater war ein schwacher Mann, Mylady. Schwach und einfältig, und seine Frau war nicht viel besser. Aber Mylord ist stark und mächtig, und er sorgt dafür, dass uns nichts passiert.“
„Davon bin ich überzeugt.“ Es sei denn, er zettelte eine Rebellion gegen den König an, und der ließ im Gegenzug Wimarcs Burg belagern. Sie fragte sich, wie Greseld dann über Wimarc denken würde, wenn sie genauso langsam dem Hungertod entgegensiechte wie die Gefangenen im Verlies.
Plötzlich warf Greseld ihr einen listigen Blick zu. „Und er sieht gut aus, nicht wahr, Mylady?“
„Ja. Seine Frau kann sich glücklich schätzen.“
Greseld schnaubte verächtlich. „Ein verwöhntes Balg ist sie, sonst nichts.“
Da sie unbedingt mehr über das Verlies und die alte Festung in Erfahrung bringen wollte, blieb Lizette hartnäckig. „Wisst Ihr, das Verlies würde ich mir wirklich gern anschauen. Lord Gilbert war sehr beeindruckt davon. Ich glaube, er will unser Verlies nach diesem Vorbild erweitern
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