Ein Kuss für die Ewigkeit
ihn, seine Mutter oder seinen Bruder beleidigte. Er gab vor, es nicht zu bemerken, wie seine Mutter sich bis zur Bewusstlosigkeit betrank, und er ließ es sie nicht spüren, wie sehr es ihn schmerzte, wenn sie einen Wutanfall bekam und auf ihn einprügelte. Er tat so, als kümmere ihn nichts und niemand, weil das für ihn sicherer war.
Bis Ryder ihn ausfindig gemacht hatte und bis ihm Lady Elizabeth d’Averette begegnet war – die lebhafte, kühne, eigensinnige Lizette, deren Gegenwart sein Herz erwärmte und sein Verlangen weckte.
Die Hunde bellten inzwischen lauter und aufgeregter und rissen ihn damit aus seinen düsteren Gedanken.
„Sie haben ihn in die Enge getrieben!“, rief der Jäger.
Finn fühlte sich versucht, dort zu bleiben, wo er war. Aber was hätten dann Wimarc und die anderen Männer von ihm gehalten? Und hatte er nicht bereits Dutzende Male weitaus gefährlichere Situationen gemeistert, als einen wütenden Keiler zu bändigen?
Aber vielleicht war das Maß der Gefahr hier doch ein anderes, überlegte er, als sie das Tier erreichten, das mit dem Hinterteil zu einer umgestürzten Eiche stand. Die Hunde hatten sich im Halbkreis davor platziert und kläfften ohne Unterlass.
Der Keiler hatte Schaum vor der Schnauze und sah verängstigt von einem Hund zum anderen.
Der Jäger war klug genug, hinter einem Baum in Deckung zu gehen, und auch die anderen Männer warteten ab, während Wimarc sich vor dem Eber hinkniete und den Speer so hielt, dass die Spitze schräg nach oben zeigte und das Ende in die Erde gedrückt war.
Der Adlige blickte Finn an. „Wenn Ihr bereit seid …“
Obwohl er glaubte, niemals für einen heranpreschenden Eber bereit zu sein, hockte sich Finn neben Wimarc und betete, das Tier möge entweder den Adligen ins Visier nehmen oder seinen Jägern entkommen.
„Jetzt!“, brüllte Wimarc, woraufhin der Hundeführer einen grellen Pfiff ausstieß.
Die bellenden Hunde teilten sich vor dem Eber und bildeten eine Gasse, die für ihn einen scheinbaren Fluchtweg darstellte. Die große Bestie stürmte los und zwar genau auf Finn zu, als hätte das Tier dessen mangelnde Erfahrung gespürt. Die Hauer glänzten wie scharfe Messer in der Sonne.
Ängstlicher als je zuvor in seinem Leben, stieß Finn einen lauten Schrei aus und rammte seinen Speer in den Leib der Ebers, der immer weiter und weiter stürmte, bis ihn zum Glück das Querholz bremste.
Dann schlug Wimarc zu und trieb seinen Speer mit solcher Gewalt dem Tier in die Seite, dass es Finn aus dem Weg schob.
Und dann bohrte es einen seiner Stoßzähne in Finns Bein.
„Schafft ihn von mir runter!“, schrie er, während sich der Schmerz in seinem Bein auszubreiten begann.
In der Krone einer wenige Schritte entfernten Eiche hielt Garreth erschrocken den Atem an und beugte sich so weit nach vorn, wie es der Ast zuließ, damit er inmitten der Menge aus Männern und Hunden etwas erkennen konnte.
Wenigstens war Finn nicht tot – seine Flüche und wütenden Schreie sprachen eine deutliche Sprache. Gott sei Dank. Als er beobachtet hatte, wie der Keiler auf Finn losrannte, da hatte er das Schlimmste befürchtet.
Nur für einen kurzen Moment hatte Finn verschnaufen können, dann stach der andere Mann auf den Eber ein und schob ihn damit auf Finn. Und schließlich hatte der Keiler Finn mit dem Stoßzahn das Bein aufgerissen …
Garreth wurde übel, und er musste sich an dem Ast festklammern.
„Ich kann reiten“, klang Finns Stimme zu ihm herauf. „Macht mir etwas Platz.“
Die Männer wichen zurück, und der Mann, der als zweiter auf den Eber losgegangen war, stützte den bleichen, schwer atmenden Finn und brachte ihn dorthin, wo die Pferde stehen mussten. Zwei weitere Männer trugen den gewaltigen Keiler, den man an einem langen, dicken Ast festgebunden hatte. Augenblicke später war die Lichtung wieder verlassen.
Garreth kletterte vom Baum und überlegte, ob er Keldra von den Geschehnissen berichten sollte oder nicht. Wenn ja, würde sie nur noch bekümmerter werden – auch wenn das kein Grund zur Sorge war. Wichtig war, dass Finn lebte und sich daran so schnell nichts ändern würde. Es handelte sich nur um eine Fleischwunde, zumindest hatte der Jäger der Gruppe das gesagt, und der sollte sich damit auskennen.
Offensichtlich war auch, dass Finn für Lord Gilbert gehalten wurde. Das konnte er Keldra erzählen, dann würde die nicht länger so missbilligend dreinschauen.
Plötzlich lief er gegen einen tief hängenden Zweig,
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