Ein Kuss fur die Unsterblichkeit
widerlichen Geruch nicht aus, so wie er auch den Friedhof nicht
gemieden hatte. Er wischte sich die Hände an der Jeans ab, um etwas von dem
Dreck loszuwerden, und hielt sich den Pflock noch näher vor das Gesicht, wobei
er den Geruch von der Spitze bis zum Griff einatmete.
Dann drehte
er sich mir zu und erklärte ganz nüchtern: »Dieser Pflock ist mit Claudius Blut
getränkt. Aber es ist nicht die Waffe, mit der mein Onkel vernichtet wurde.«
Mein Herz
setzte mindestens fünf Schläge aus. »Woher weißt du das?«
»Claudius
Blut, das sehr penetrant riecht, ist nur an der Spitze des Pflocks.«
»Was
bedeutet ...«
»Entweder
hat jemand Schwaches ihn benutzt – und es nicht geschafft, fest genug
zuzustoßen. Oder der Pflock wurde erst später mit dem Blut versehen, und zwar
von jemandem, der nicht weiß, wie tief der Pflock eindringen muss, um das Herz
zu durchbohren. Es ist entweder der Beweis für eine Täuschung oder für einen
missglückten Mordversuch – und es ist klar, dass Lucius sein Opfer nicht
verfehlen würde.«
Mein Herz
schlug jetzt schneller. »Das sind gute Neuigkeiten, nicht wahr?«
Wir hatten
bereits auf dem Friedhof festgestellt, dass meine Erinnerung mich nicht
getäuscht hatte. Auf Claudiu war dreimal eingestochen worden, wobei Lucius ihn
ganz sicher mit einem einzigen Stoß vernichtet hätte. Außerdem hatte Raniero
festgestellt, dass die ersten beiden Einstiche von einem Rechtshänder stammen
mussten. Dafür hatte er noch nicht mal ein besonderes Labor oder eine spezielle
Ausrüstung gebraucht. Sein eigenes Fachwissen darüber, wie man jemandem todbringende
Wunden zufügte, reichte aus.
»Du sagst
also, dass nicht nur die Anzahl der Wunden und ihre Winkel und Anordnung
helfen können, Lucius zu entlasten, sondern dass es außerdem noch nicht einmal
seine Waffe war, die die tödliche Wunde verursacht hat?«, fragte ich, um
sicherzugehen, dass ich dieses wichtige Detail richtig verstanden hatte.
»Ja – aber
freu dich nicht zu früh, Antanasia«, warnte er mich. »Es war trotzdem ein
Linkshänder, der Claudius Herz durchbohrt hat.«
Aber ich
freute mich. »Lucius würde niemals Hilfe in einem Kampf benötigen«, erinnerte
ich Raniero. »Die Ältesten werden einsehen müssen, dass er überhaupt nicht beteiligt
war.«
»Si«, antwortete Raniero, aber er hörte
mir gar nicht richtig zu. Ich konnte sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete – und dass es da noch etwas gab, was er mir nicht sagte. Ich kannte diesen
verschlossenen Gesichtsausdruck. Und er wurde aus irgendeinem Grund auch
wütend. »Es tut mir leid, dass ich mir den Pflock und die Leiche nicht schon
eher angesehen habe.«
»Ist schon
okay. Jetzt wissen wir mehr, und das ist alles, was zählt.«
Doch er
schüttelte nur den Kopf und schien noch tiefer in Gedanken zu versinken. Ich
drängte ihn nicht, mir zu sagen, worüber er nachdachte, denn in dem Punkt war
er wie Lucius: Er würde nichts erzählen, solange er nicht dazu bereit war.
»Ich habe einige meiner Instinkte verloren, nachdem ich von hier fortgegangen
bin.« Er sah mich an. »Das tut mir leid.«
Ich wusste
nicht, ob es ihm leidtat, dass er den Pflock nicht schon eher untersucht hatte – oder ob er damit das meinte, was er als Nächstes tat. Er ging nämlich zu dem
Glasbehälter mit seiner eigenen, noch viel blutigeren Waffe und ließ seine
Faust daraufsausen, sodass das Glas zersplitterte und den Pflock freigab, den
er mit unglaublicher Sicherheit herausnahm und in seine Jeans steckte, hinten
in die Wölbung seiner Wirbelsäule, nachdem er den anderen, kleineren, neuen
Pflock herausgenommen und auf den Boden geworfen hatte.
»Es ist
schon fast Morgen«, bemerkte er, als er sah, wie ich ihn fassungslos
beobachtete. »Du solltest dich auf die Verhandlung vorbereiten. Ich glaube, es
wird ein langer Tag.«
Kapitel 105
Mindy
Ich ging
ziemlich früh am
Morgen mit meinem Make-up-Koffer zu Jess' Zimmer und dachte, ich würde noch ein
letztes Styling machen, bevor ich meine Scheren und alles für immer zur Seite
legen würde. Wenn ich Jess durch diese Gerichtsverhandlung gebracht hatte,
würde ich nie wieder jemandes Haare anfassen. Ich hatte die Schnauze voll von
schönen Leuten – und Vampiren.
Aber als
ich an ihre Tür klopfte und sie öffnete, war Jess gar nicht da.
Prinzessin
Antanasia Dragomir Vladescu war da.
»Ich
schätze mal, du brauchst mich heute nicht«, sagte ich. »Wow!«
Bei ihrer
Hochzeit hatte sie wunderschön ausgesehen. Aber jetzt sah sie
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