Ein Kuss und Schluss
kostbaren Augenblicke zurückholen könnte, die sie letzte Nacht miteinander geteilt hatten, als die übrige Welt verschwunden war und er ihr gezeigt hatte, wie wunderbar Sex sein konnte. Sie hatte es vorher nicht gewusst. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass es so sein konnte. Anschließend hatte sie sich nur gewünscht, an seiner Seite einzuschlafen, um an diesem Morgen aufzuwachen und sich erneut von ihm bestätigen zu lassen, dass er an sie glaubte und ihr helfen würde, dass sie vielleicht, nur vielleicht, doch noch eine Zukunft hatte.
Dann hatte er alles zerstört, als er ihr die Handschellen angelegt hatte.
»Ich werde dich nicht hilflos zurücklassen«, sagte sie. »Später rufe ich Sandy an und sage ihr, dass sie dich befreien soll.«
John schloss die Augen. »Ich bin begeistert!«
»Ich sage ihr, dass wir uns wegen irgendwas gestritten haben und ich so wütend war, dass ich dich gefesselt habe und gegangen bin. Sie wird es glauben.«
»Nein, das wird sie nicht. Sie mag dich, Renee. Sie wird kein einziges Wort ...«
»Ich werde dafür sorgen, dass sie mir glaubt. Und es tut mir Leid wegen deines Wagens, aber ich muss ihn mitnehmen. Ich weiß, dass das Autodiebstahl ist, aber mir bleibt keine andere Wahl. Du wirst ihn bald wiederbekommen. Irgendwie. Das verspreche ich dir.«
Sie ging zur Tür hinaus.
»Renee.«
Diesmal war seine Stimme sanft und flehend, und sie drang mühelos bis zu ihrem Herzen vor. Sie blieb stehen, mit dem Rücken zu ihm, eine Hand am Türrahmen, und wünschte sich, Gott hätte für diese Geschichte ein anderes Ende vorgesehen.
»Bedeutet es dir gar nichts, was letzte Nacht zwischen uns war?«, sagte er.
Tu mir das nicht an , bat sie ihn stumm, während ihr Tränen über die Wangen liefen. Lass mich einfach gehen und vergiss, dass du mir jemals begegnet bist.
Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab, dann drehte sie sich um und blickte ihm noch einmal in die Augen.
»Es hat mir mehr als alles andere bedeutet, John. Ich wünsche mir nur, es hätte auch dir etwas bedeutet.«
Dann verließ sie das Schlafzimmer. Sie hörte, wie er laut fluchte und mit der Faust gegen den Bettrahmen schlug. Dabei zuckte sie zusammen und musste sich mit der Hand an der Wand abstützen, weil sie nicht wusste, ob sie sich auf den Beinen halten konnte. Sie atmete tief und zitternd ein, dann wappnete sie sich und legte den Schlüssel für die Handschellen auf den Küchentisch.
Sie musste zu Paula fahren, sich etwas Geld borgen und dann ganz schnell aus der Stadt verschwinden.
15
Zwanzig Minuten später bog Renee auf den Parkplatz der Timberlake Apartments. Als sie an der Ostseite des Komplexes vorbeifuhr, erinnerte sie sich daran, wie aufgeregt sie gewesen war, als sie hier eingezogen war. Es war ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem Rattenloch gewesen, in dem sie zuvor gehaust hatte, aber mehr hatte sie sich mit achtzehn Jahren vom dürftigen Gehalt als Kellnerin bei Denny‘s nicht leisten können. Ihr neues Apartment hatte eine eingebaute Mikrowelle, Jalousien und einen Teppich ohne Flecken, und obwohl die anderen Mieter keineswegs die Creme der Gesellschaft waren, versuchten sie wenigstens nicht, ihr in der Eingangshalle Drogen zu verkaufen, und sie kotzten auch nicht in die Korridore.
Jetzt, sechs Jahre später, sah sie, dass es in Wirklichkeit nicht der Palast war, den sie damals gesehen hatte. Der Parkplatz hatte Schlaglöcher, die Gebäude brauchten dringend einen neuen Anstrich, und die Markisen auf der Vorderseite des Komplexes waren zerfetzt und ausgebleicht. Aber sie liebte das alles trotzdem, weil es für sie der erste konkrete Beweis gewesen war, dass sich Arbeit auszahlte.
Doch nach dem heutigen Tag würde sie nie wieder hierher zurückkehren.
Sie stellte Johns Wagen so nahe wie möglich bei Paulas Apartment ab, dann suchte sie die Umgebung nach Lebenszeichen ab. Zum Glück entdeckte sie lediglich eine streunende Katze, die sich hinter einem Strauch versteckte, und einen Schwärm Stare, der in den Ästen einer Eiche zwitscherte.
Sie stieg aus dem Wagen, schlüpfte in die Eingangshalle und nahm die Hintertreppe. Schließlich klopfte sie leise an die Tür zur Nummer 214 und betete, dass Paula zu Hause war. Wenn nicht, wüsste sie nicht, was sie dann tun sollte.
Endlich, nachdem so viel Zeit vergangen war, dass Renee schon fast jede Hoffnung verloren hatte, öffnete Paula die Tür. Als sie Renee sah, riss sie die schläfrigen Augen auf.
»Renee!«
Sie
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