Ein Kuss und Schluss
bestimmt ein Einzelstück!«
»Ich fürchte ja.«
Er schüttelte den Kopf. »Die richtig geilen Sachen sind immer Unikate.« Dann lächelte er. »Ihr habt Glück, dass ihr recht früh gekommen seid. So bekommt ihr problemlos einen guten Tisch. Viel Spaß bei der Show.«
Renee musste Paula buchstäblich zu einem Tisch an einer Wand zerren, von wo aus sie den gesamten Raum überblicken konnten. Es herrschte bereits einiger Betrieb, und es hatten sich die seltsamsten Vertreter der Übergangszone zwischen den Geschlechtern versammelt, die Renee jemals gesehen hatte. Ganz vorne verbarg sich hinter einem rotbraunen Vorhang die Bühne. Die Musik wummerte, und Lichtstrahlen in sämtlichen Farben schwirrten durch den Raum. Die Luft war mit Zigarettenrauch geschwängert, so dass ihnen das Atmen schwer fiel. Nach kurzer Zeit kam ein Kellner an ihren Tisch, um die bestellten Drinks zu bringen.
»Siehst du?«, sagte Renee. »Wir haben es geschafft. Es war doch gar nicht so schwer, oder?«
Paulas Gesicht war immer noch aschfahl. »Ich glaube, ich habe mir gerade in die Hosen gemacht.«
»Bleib ganz locker«, sagte Renee und schob die Sonnenbrille ein Stück die Nase hinunter, um sich flüchtig im Club umzusehen. »Und halt die Augen offen. Wenn du etwas Verdächtiges entdeckst, werden wir es uns genauer ansehen.«
John saß auf seinem Sofa, der Fernseher lief ohne Ton, und er starrte ins Leere. Er vermisste Renee. Er konnte gar nicht beschreiben, wie sehr sie ihm fehlte. Hinzu kamen seine Schuldgefühle, die an ihm nagten, seit er sie in dem schäbigen Motel zurückgelassen hatte. Er hoffte, dass sie seinen Rat beherzigt hatte und ganz schnell weit weg geflüchtet war. Denn er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie gemeinsam mit dem Abschaum der Erde hinter Gittern landete.
Er erinnerte sich an ihren Gesichtsausdruck, als sie aus seinem Wagen gestiegen war, an die Verlorenheit und Einsamkeit in ihrem Blick, der ihm sagte, dass er sie im Stich ließ, nachdem sie ihm vertraut hatte. Jetzt würde sie sich für den Rest ihres Lebens wünschen, ihm niemals begegnet zu sein.
Er sah auf die Uhr. Halb neun.
Die Talentshow begann in einer halben Stunde. Es war möglich, dass sich der wahre Täter unters Publikum mischte, die Person, die gezielt oder unbeabsichtigt Renee belastet hatte.
Aber vielleicht lagen sie völlig daneben, und man würde den Täter auch in einer Million Jahren nicht ausfindig machen. Schließlich geschahen in dieser Stadt Jahr für Jahr zahlreiche Verbrechen, die niemals aufgeklärt wurden. Und dies war höchstwahrscheinlich ein weiterer solcher Fall.
Er warf die Fernbedienung auf den Tisch und lehnte sich mit dem Kopf auf die Rückenlehne des Sofas. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen, als er Renee fortgeschickt hatte. Er wusste es genau. Warum hatte er trotzdem ein so ungutes Gefühl?
Dann hörte er ein schnelles, hartes Klopfen an seiner Tür, das wie Maschinengewehrfeuer klang.
Alex.
John blieb noch einen Moment auf dem Sofa sitzen und versuchte ihn wegzuwünschen, doch dann hörte er ihn ein zweites Mal und noch energischer klopfen. Er würde erst damit aufhören, wenn John ihn hereinließ.
Schließlich stand er auf und öffnete die Tür. Alex kam hereinmarschiert, schaute sich um und sah dann wieder John an.
»Wo ist sie?«
»Weg.«
»Du hast sie ausgeliefert?«
»Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe keine Ahnung, wo sie ist.«
Alex bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Du hast sie laufen lassen?«
»Ja, ich habe sie laufen lassen. Weil sie unschuldig ist.«
»Du weißt nicht, ob das stimmt. Und selbst wenn - es wäre völlig irrelevant!«
»Mensch, Alex! Sie sollte viele Jahre lang ins Gefängnis wandern, wegen etwas, das sie nicht getan hat! Bedeutet dir das gar nichts?«
»Hör mir zu, kleiner Bruder«, sagte Alex und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Wenn du dich auf diesen Weg begibst, kannst du irgendwann nicht mehr zurück.«
»Welchen Weg?«
»Den Weg, auf dem du denkst, du stündest über dem Gesetz. Auf dem du alles in Frage stellst, statt deine Arbeit zu machen.«
»Verstehst du denn nicht? Ich wusste, was mit ihr geschehen würde, wenn ich sie ausgeliefert hätte. Und du weißt so gut wie ich, dass es in unserem Rechtsstaat nicht immer gerecht zugeht.«
»Hör mir zu«, sagte Alex. »Ich weiß, wie sie als Jugendliche war. Solche Menschen ändern sich nie. Nie im Leben! Glaub mir, wenn sie ins Gefängnis wandert, gibt es dafür einen guten
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