Ein Kuss und Schluss
weitermacht, kann das Kind ja nur lesbisch werden.«
»Ja, schon gut!« Brenda schäumte stumm, dann wandte sie sich an Renee. »Was meinst du, Alice? Ein neues Jahrtausend hat begonnen. Wäre es nicht an der Zeit, dass wir endlich die Rolle der Frau neu definieren?«
Renee erstarrte. Es war eindeutig eine jener Situationen, in der man so oder so ins Fettnäpfchen treten würde.
»Ich glaube«, sagte sie vorsichtig, »dass sich Melanie glücklich schätzen kann, so viele Menschen in ihrer Nähe zu haben, die sich um sie sorgen.«
Es wurde totenstill am Tisch.
»Wow!«, sagte Sandy. »Tolle Antwort.«
Alle, sogar Brenda, nickten zustimmend und setzten die Mahlzeit fort.
Renee glaubte einfach nicht, was hier vor sich ging. In ihrer Jugend hätte eine solche Meinungsverschiedenheit bei Tisch ihre Mutter und sie in tiefste Feindseligkeit gestürzt, die mindestens eine Woche angehalten hätte. Und Stille hatte Renee nur in den seltenen Momenten erlebt, wenn ihre Mutter tatsächlich einmal das Essen zubereitet hatte. Es war so weit gekommen, dass ihr Schweigen lieber als alles andere gewesen war, weil es in jedem Gespräch nur darum gegangen war, was ihrer Mutter wieder an Renee missfallen hatte. Und wenn sie keine neuen Vorwürfe parat hatte, grub sie etwas aus, das zwei Wochen oder länger zurücklag. Dann trank sie, und dann begann das Geschrei, bis Renee schließlich aus dem Haus stürmte, die Tür hinter sich zuschlug und tagelang nicht heimkehrt. Hier war alles anders. Diese Leute warfen sich unablässig Beleidigungen an den Kopf, aber die Worte schienen genauso schnell vergessen zu sein, wie sie ausgesprochen wurden. Als wären sie überhaupt nicht verletzend gemeint.
Renee war sich nicht sicher, was das bedeutete, nur dass niemand wirklich einen Groll gegen einen anderen zu hegen schien. Und alle aßen weiter, als würde ihr Appetit nicht im Geringsten beeinträchtigt. Selbst Melanie hatte allem Anschein nach keine Probleme damit. Ihre Aufmerksamkeit wurde völlig vom Versuch beansprucht, ein Riesenstück Butter auf ihr Brötchen zu pappen.
Und niemand stürmte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
»Nun, Alice«, sagte Brenda. »Ich würde sagen, du bist um Längen besser als die letzte Frau, die John zum Sonntagsessen mitgebracht hat. Wie war noch gleich ihr Name? Debbie? Mein Gott, war das eine hirnlose Tussi!«
Wieder nickten alle. Nur John schloss mit einem erschöpften Seufzer die Augen.
»Wenn ich mich recht entsinne, wart ihr nicht sehr lange zusammen«, sagte Dave.
Sandy schnaufte verächtlich. »Sie ist nicht mal bis zum Nachtisch geblieben.«
»Natürlich nicht!«, sagte John, der plötzlich wieder lebendig wurde. »Nicht, nachdem Brenda ihr erklärt hat, wenn sie nur etwas mehr Mascara auflegen würde, könnte sie als Fernsehpredigerin auftreten!«
Brenda zuckte mit den Schultern. »Kann ich was dafür, dass sie wie Tammy Faye Baker aussah?«
»Ihr Rock war viel zu eng«, sagte Großmutter. »Ich konnte ihre Arschspalte sehen.«
Sandy lächelte. »Das Beste war, als Dave versucht hat, ihre Intelligenz auf die Probe zu stellen.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass etwas vorhanden gewesen wäre, das ich auf die Probe hätte stellen können«, sagte Dave, Sandy wandte sich an Renee. »Dave hat sie gefragt, ob sie wüsste, warum das Wort Abkürzung so lang ist. Damit hat er die arme Frau völlig durcheinander gebracht.«
»Dann sag mir doch mal, Alice«, begann Dave nonchalant, »was wohl passiert, wenn du zweimal halb zu Tode erschrocken wirst?«
Renee zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich quäle mich immer noch mit der Frage ab, warum Antipasta das Gegenteil von Pasta sein soll.«
Dave spießte energisch eine grüne Bohne auf. »Toll! Meine Stimme hat sie.«
»Meine auch«, sagte Brenda.
»Und meine sowieso schon«, fügte Sandy hinzu.
John warf seine Gabel scheppernd auf den Tisch. »Also gut. Warum bringen wir es nicht einfach zu Ende und machen daraus ein einstimmiges Ergebnis?«
»Nein«, sagte Großmutter. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Kellner ins Essen spucken oder nicht.«
»Hört ihr jetzt endlich damit auf? In welcher Art von Beziehung Alice und ich stehen, ist einzig und allein unsere Sache. Ende der Diskussion.«
»Natürlich, John«, sagte Tante Louisa, dann beugte sie sich zu Renee herüber und flüsterte: »Normalerweise ist er gar nicht so grantig. Ich glaube, es liegt nur daran, dass er diesen Tadel bekommen hat.«
»Tadel?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher