Ein Kuss und Schluss
der flehende Blick ihrer Augen machte John klar, wie sehr er sich genau dasselbe wünschte. Er wollte, dass alles wieder normal wurde, dass sie sich nicht als Polizist und mutmaßliche Kriminelle gegenüberstanden, dass ihm nicht ständig Worte wie Pflicht und Verantwortung durch den Kopf gingen.
»Nur für ein paar Stunden«, flüsterte sie.
Verdammt! Warum tat sie ihm das an? Er steckte in einer sehr unangenehmen Zwickmühle. Warum erkannte sie das nicht?
»Uns stehen zwei Möglichkeiten zur Auswahl«, sagte er. »Entweder du gehst von selbst hinein, oder ich zerre dich hinein.«
Sofort schössen ihr Tränen in die Augen. »Du Mistkerl! Ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast, und so willst du mir dafür danken?«
»Du bist nach wie vor eine flüchtige Verbrecherin. Das scheinst du vergessen zu haben.«
»Wie könnte ich das vergessen? Du lässt schließlich keine Minute verstreichen, ohne mich daran zu erinnern!«
»Ich tue nur meine Pflicht.«
»Nein, deine Pflicht wäre es gewesen, mich in der Polizeiwache abzuliefern. Stattdessen bin ich jetzt hier. Und jetzt weißt du nicht mehr, was du mit mir machen sollst. Du könntest mich ins Gefängnis bringen, aber du weißt genau, was dann geschieht, und damit kannst du nicht leben!«
In einem Anfall der Verzweiflung packte John Renees Arm, zerrte sie durch den Korridor ins Schlafzimmer, wo er sie zwang, sich aufs Bett zu setzen.
»Nein, das wirst du nicht tun, John. Nein!«
Sie wollte aufstehen, aber er stieß sie wieder zurück. Sie versuchte ihr Handgelenk loszureißen, aber er war zu schnell. Im nächsten Moment schnappte das Handschellenschloss ein.
Renee funkelte ihn wütend an. »Warum hast du mich überhaupt hergebracht? Wenn ich hier die ganze Zeit gefesselt herumsitzen muss, hättest du mich genauso gut in eine ordentliche Zelle bringen können!«
»Provoziere mich nicht, Renee!«
»Du kannst es einfach nicht! Du bringst es nicht fertig, mich auszuliefern, nicht wahr? Weil du weißt, dass ich unschuldig bin. Du weißt, dass ich den Supermarkt nicht überfallen habe. Du weißt, dass ich nicht auf die Angestellte geschossen habe. Aber trotzdem ...« Sie hob demonstrativ das gefesselte Handgelenk und ließ es wieder aufs Bett fallen. »Trotzdem tust du so, als hätte ich es getan!«
Zwischen ihnen knisterte es vor Spannung, und es schien, dass ein winziger Funke genügt hätte, die Vorhänge in Brand zu setzen.
»Ich frage dich noch einmal, John. Glaubst du, dass ich schuldig bin? Oder bin ich eine Frau, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort war?«
»Es gibt keine Beweise ...«
»Verdammt! Könntest du mal für fünf Sekunden die Beweise vergessen? Ich will keine Gesetzestexte oder Vorschriften hören. Ich habe dich nach deiner Meinung gefragt.«
Er wandte sich von ihr ab. Am liebsten hätte er sofort den Raum verlassen und sich nicht eher in ihre Nähe zurückgewagt, bis er das Gefühl hatte, die Angelegenheit wieder im Griff zu haben. Doch als sie weitersprach, war ihre Stimme so sanft und zerbrechlich, dass es ihn völlig unvorbereitet traf.
»Mir ist heute etwas klar geworden«, sagte sie. »Was ich dir im Wald vorgeworfen habe, stimmt nicht. Dein Problem ist nicht, dass dir alles gleichgültig ist. In Wirklichkeit geht es dir so nahe, dass es dich zu zerreißen droht.«
Er musste raus hier! Sofort!
»Du weißt, wie es wirklich war, stimmt‘s? Du weißt es.«
Er blickte sie wieder an, was sein erster Fehler war. Sein zweiter war, dass er sich einbildete, er könnte objektiv bleiben, wenn es um Renee ging. Sie betrachtete ihn so eindringlich, dass er das Gefühl hatte, durchsichtig zu sein. Wieder drehte er den Kopf weg, während er wusste, dass er kurz davor stand, eine Grenze zu überschreiten, die er niemals hatte überschreiten wollen. Und wenn er erst einmal auf der anderen Seite stand, würde es für ihn keinen Weg zurück geben.
Aber sie hatte Recht. Er wusste, wie es wirklich gewesen war. Wie konnte er es immer noch abstreiten?
»Mein Polizistenverstand sagt mir, dass du schuldig bist«, antwortete er schließlich. »Und er rät mir, dich unverzüglich ins Gefängnis zu bringen, damit die Sache erledigt ist. Aber da ist noch etwas anderes ...«
Er hielt inne, dann drehte er sich langsam zu ihr herum. Und wieder blickte er in ihre klaren blauen Augen, die ihn seit ihrer ersten Begegnung in den Bann gezogen hatten.
»Auch wenn ich nicht den Fetzen eines Beweises in der Hand habe - aus irgendeinem Grund glaube
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