Ein Kuss unter dem Mistelzweig
ordentliches Festmahl bevor.«
Jay gab mit einem Löffel gemahlenen Kaffee in eine Cafetière. »Ach, ich kann es kaum noch abwarten.«
Der Wasserkessel brodelte. »Es ist wirklich schade, dass ihr dann nicht hier sein könnt. Ihr seid dann schon wieder zu Hause, oder?«
»Ja«, nickte Rachel. »Es sieht ganz danach aus.« Sie konnte es selbst noch gar nicht so richtig fassen.
Jays Handy, das auf dem Küchentisch lag, klingelte. »Tut mir leid, macht es dir etwas aus, wenn ich kurz drangehe?«, fragte er. Rachel schüttelte den Kopf, woraufhin er sich das Handy schnappte und damit nach nebenan ins Wohnzimmer verschwand, während er den Anruf entgegennahm.
Rachel klammerte sich an ihren Becher und schaute zum Küchenfenster hinaus. Jays Unterhaltung war bis hierher zu verstehen.
»Witzig, dass du das fragst«, hörte sie ihn zu der Person am anderen Ende der Leitung sagen. Er kehrte in die Küche zurück und schaute Rachel an. »Denn sie ist gerade hier bei mir.«
»Vielen Dank, Rachel, dass du gekommen bist«, sagte Laurie.
Die Tatsache, dass sie hier war, hatte überhaupt nichts zu bedeuten, dachte Rachel. Sie würde Laurie eine halbe Stunde geben, und das war’s. Sie warf einen Blick auf die Wanduhr: halb sechs. Um sechs Uhr würde sie wieder in der Wohnung zurück sein, um Milly und Zak Abendbrot zu machen.
Vielleicht war das alles eine blöde Idee gewesen. Aber als Jay ihr gesagt hatte, dass Laurie wieder zurück war und dringend mit ihr reden wollte, hätte es mehr als kindisch ausgesehen, Nein zu sagen. So hatten sie verabredet, sich im Clapham Old Town zu treffen. In diesem Pub drängten sich immer die Leute, die gerade aus dem Büro kamen und sich bei einem Glas Wein nach Urlaub sehnten.
An ihrem Tisch dagegen herrschte eine unbehagliche Stille. Lauries Bluse war verknittert, sie hatte das Haar an einer Seite hochgesteckt und wirkte müde.
»Ich bin gekommen, weil ich dich auf den neuesten Stand bringen will. Bea ist aus dem Koma aufgewacht«, erklärte Rachel, ihr Tonfall sachlich und nüchtern. »Es geht ihr immer besser, du kannst also deine Wohnung zurückhaben.«
»Das ist wunderbar«, stellte Laurie fest, schlug sich erleichtert die Hand auf die Brust und lächelte. »Ich kann mir vorstellen, wie erleichtert ihr jetzt seid.«
»Ja, das sind wir«, erwiderte Rachel knapp. »Ziemlich erleichtert.«
»Es tut mir leid, dass ich damals nicht ehrlich zu dir war«, fuhr Laurie fort. »Wegen … du weißt schon …«
Rachel sträubte sich. Nicht einmal eine solche Entschuldigung würde dieses Mal die Sache in Ordnung bringen können.
»Rachel, ich halte das nicht aus … diese Distanziertheit«, stellte Laurie fest und sah ihr in die Augen.
»Das ist nicht fair«, platzte es mit einem Mal aus Rachel heraus. »Ich habe jedes Recht, sauer auf dich zu sein, Laurie. Lass mir wenigstens das! Immerhin hast du mir an jedem einzelnen Tag unserer Freundschaft ins Gesicht gelogen.«
»Das habe ich nicht«, erwiderte Laurie verletzt. »Ich habe dir nur vielleicht nicht die ganze Wahrheit erzählt.«
Rachel musste an Aiden denken und stellte sich Laurie und ihn zusammen vor – ein Bild, das sie, seit sie den Brief gefunden hatte, nicht mehr aus dem Kopf bekommen hatte. Zuerst hatte sie gedacht, es nicht ertragen zu können, die Details zu erfahren; sie aber nicht zu kennen war noch schlimmer.
»Ich muss es einfach wissen, Laurie. Was ist zwischen dir und Aiden gewesen?«
»Was da gewesen ist?«, wiederholte Laurie und runzelte die Stirn.
»Genau. Ich will wissen, wann ihr zusammen gewesen seid, wie lange – ob ihr zusammen wart, während ich …«
Laurie schnitt ihr das Wort ab und schüttelte den Kopf. »Da ist nichts gewesen, Rachel.«
»Nichts?«, wiederholte Rachel und fühlte sich wie betäubt.
»Nichts«, bestätigte Laurie.
»Aber …«
Laurie riss das Wort an sich, um alles zu erklären. »Aber ich hätte dir natürlich sagen müssen, dass auch ich total, Hals über Kopf, mit Haut und Haaren, in Aiden verknallt gewesen bin.« Laurie zog die Nase kraus, bevor sie fortfuhr. »Es war wohl nicht fair, dir zuzuhören, wie du von ihm geschwärmt hast, und dann so zu tun, als hätte ich kein Interesse an ihm. Denn die Wahrheit ist, dass ich damals alles gegeben hätte, wenn er zu der Zeit auch nur das geringste Interesse an mir gezeigt hätte. Unsere Freundschaft hin oder her.«
Zwar hörte Rachel zu, doch sie begriff den Zusammenhang nicht. Natürlich war es unglaublich seltsam sich
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