Ein Kuss unter dem Mistelzweig
weißt du das? Hast du in meinen Sachen herumgeschnüffelt?«
»Nein«, erwiderte Rachel entrüstet. »Das würde ich nie tun.« Verzweifelt versuchte sie zurückzurudern. Sie durfte nicht riskieren, dass Milly dichtmachte. »Ich habe zufällig mitgehört, wie …«
»Was geht es dich an, wen …«, fing Milly an, doch dann traten ihr plötzlich die Tränen in die Augen. »Was meinst du? Was hast du gehört? Was hat Laurie dir gesagt?«
»Ich muss nur eines wissen.« Rachel versuchte, die Ruhe zu bewahren. »Hast du vor, ihn wiederzusehen?«
Millys Stimme zitterte. »Keine Ahnung. Ich fand ihn nett, als ich ihn kennengelernt habe«, erwiderte sie. »Er schien richtig nett zu sein. Aber jetzt – keine Ahnung. Irgendwas stimmt mit dem nicht. Er hat ziemlich penetrant darauf gedrängt, dass wir uns treffen. Und Kate und Emma haben mir erzählt, dass er sie alles Mögliche über mich gefragt hat. Das macht mir langsam echt Angst. Ich glaube, ich habe einen Riesenfehler gemacht«, stellte Milly fest und biss sich auf die Lippe.
»Schon gut, Liebes«, beruhigte Rachel sie. »Du hast nichts falsch gemacht.« Sie legte einen Arm um Milly, als ihrer Tochter die Tränen über die Wangen liefen.
Rachel beschloss, dass Milly ein Recht darauf hatte, die ganze Geschichte zu erfahren. Nachdem sich Milly wieder beruhigt hatte, erzählte sie ihr, was Laurie in Skipley passiert war.
Milly fiel die Kinnlade herunter. »Dieser miese, unglaubliche …«, fing sie an. Entrüstet unterdrückte sie weitere Tränen.
»Offensichtlich hatte Laurie keine Ahnung, dass er mit dir in Kontakt steht. Doch dann hat sie zufällig eine SMS von dir auf seinem Handy gesehen.«
»Oh Mann, das ist ja so was von gestört«, stellte Milly mit hochrotem Kopf fest. »Unfassbar! Was für ein Freak!«
»Da stimme ich dir zu«, erwiderte Rachel. »Aber Milly, ich wundere mich auch ein bisschen. Ich frage mich, was ein schlaues Mädchen wie du von einem Kerl will, der so viel älter ist?«
Milly zuckte mit den Schultern. »Er hat mir sein Alter nicht gesagt.«
»Aber du hast ihn doch offenbar in einem Pub kennengelernt, oder? Wann bitte warst du in einem Pub?«
»Ich war ein einziges Mal mit Kate im Pub – kurz bevor wir hierhergekommen sind. Hör zu, ich habe es dir schon einmal gesagt: Ich langweile mich in Skipley. Dort kann man nichts machen – und da ich jetzt auf eine neue Schule gehe, kann ich nicht einmal mehr Kate sehen, es sei denn, wir gehen zusammen aus. Als ich dann diesen Typen kennengelernt habe und er mir angeboten hat, mich überallhin mitzunehmen, dachte ich, dass ich vielleicht auch mal aus diesem sterbenslangweiligen, öden Dorf herauskomme, das leider mein Zuhause ist.«
Ihre Worte trafen Rachel direkt ins Herz. Es klang, als würde Milly Skipley wirklich abgrundtief hassen.
»Ich möchte raus aus Skipley, Mum«, erklärte Milly. »Und ich dachte, dass dieser Typ vielleicht die Antwort sein könnte. Aber das war dumm von mir. Ich war gar nicht an ihm interessiert, sondern wollte nur, dass mir ein einziges Mal auch mal etwas Spannendes passiert. Ich habe dir und Dad schon mehrmals zu erklären versucht, wie sehr ich mich in Skipley langweile, aber ihr habt das nie hören wollen.«
Es stimmte, dass Rachel Millys Proteste nie wirklich ernst genommen hatte, sondern sie damit abgetan hatte, dass Milly einfach zu verwöhnt war. Aber indem sie den Frust ihrer Tochter ignoriert hatte, war alles nur noch schlimmer geworden.
»Okay«, nickte Rachel. »Ich verstehe, was du meinst. Ich hätte dir schon viel früher zuhören sollen – für mich war es einfacher, mir einzureden, dass es dir gut geht, als zu akzeptieren, dass jetzt alles anders ist. Du wirst erwachsen – vielleicht haben wir uns darauf noch nicht eingestellt. Wenn dein Vater gleich zurück ist, sollten wir uns alle gemeinsam über dieses Thema unterhalten.«
Aiden kam sehr spät aus dem Krankenhaus zurück und versuchte, ins Bett zu schlüpfen, ohne Rachel dabei aufzuwecken. Als Rachel ihn jedoch hörte, drehte sie sich instinktiv zu ihm um und legte eine Hand auf seine Schulter. »Wie geht es deiner Mutter?«, fragte sie, immer noch im Halbschlaf.
»Ihr geht es gut«, flüsterte Aiden. »Sehr gut sogar. Wenn du sie siehst, würdest du nicht ahnen, was sie durchgemacht hat.«
»Das ist toll«, erwiderte Rachel. So verschlafen, wie sie war, wusste sie nur noch, dass sie ihm von irgendetwas erzählen sollte … doch da war der Gedanke schon wieder abgetaucht.
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