[email protected] An:
[email protected] Hi Laurie,
ich habe gerade deine Postkarte aus Peking bekommen, die ist echt cool, vielen Dank! Sie hängt jetzt zusammen mit meinen anderen Postkarten an der Pinnwand.
Laurie war keine besonders gute Patentante, das wusste sie – aber die Angewohnheit, Milly gelegentlich eine Karte zu schreiben, hatte sie doch beibehalten. Sie stellte sich ihre Patentochter vor, wie sie sie auf dem Foto bei Facebook gesehen hatte – recht groß für ihr Alter, dunkelrot gefärbtes Haar und die haselnussbraunen Augen ihres Vaters. In Milly sah Laurie jenen Funken, der auch in ihr geglüht hatte, als sie in Millys Alter gewesen war – ein Hunger danach, voranzukommen und ein besseres Leben zu haben.
Heute fahren wir nach London in deine Wohnung – das ist schon alles ziemlich verrückt, oder? Ich freue mich aber schon sehr darauf; ich kann es kaum abwarten, die Stadt kennenzulernen und bei dir zu wohnen. Hast du mir nicht einmal erzählt, dass du eine Schneiderpuppe besitzt? Ich habe nämlich ein Projekt für den Textilunterricht mitgenommen, das ich fertigstellen muss.
Ich hoffe, du findest in Skipley etwas, womit du dich ablenken kannst, denn da ist es verdammt langweilig. Jedenfalls machen sich meine Eltern ziemliche Sorgen um Granny Bea, doch so weit scheint alles okay zu sein, da sie ganz gut gelaunt ist und ihre typischen Omasprüche darüber klopft, ins Krankenhaus zu müssen.
Eine gute Reise!
Alles Liebe
Milly
PS : Ich habe ein altes Foto von Mum und dir gefunden. Darauf seid ihr etwa in meinem Alter, und Mum trägt einen total billigen roten Lippenstift. Obwohl das Foto sonst eigentlich ganz nett ist. Ich habe eines von meiner Freundin Kate und mir, das ziemlich ähnlich ist.
Laurie tippte schnell eine Antwort.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Millypede! Hallo!
Schön, von dir zu hören! Ich hoffe, euch gefällt es in der Wohnung. Im Gästezimmer, in dem du schlafen wirst, befindet sich ein ganzer Haufen von Stoffen. Bediene dich bitte und nimm alles, was du für dein Projekt brauchen kannst. Und du kannst auch gern Matilda (meine Ankleidepuppe) benutzen. Wenn man ihr keine Aufmerksamkeit schenkt, wird ihr ziemlich schnell langweilig. Vielleicht gefällt sie ja auch Zak als Tanzpartnerin.
Ich hoffe, dass es Bea bald besser geht.
Eine dicke Umarmung sendet dir
Laurie
PS : Wow – Ich wette, auf dem Foto hatte ich schreckliche Haare. Damals kannte man noch keine Glätteisen. Ja, ich WEISS .
Millys Antwort folgte auf dem Fuße. Deine Haare sind rosa!
Na ja, schrieb Laurie zurück, dafür gibt es keine Entschuldigung. Kommt heil in London an, Milly. LG Laurie.
»Der Zug erreicht in Kürze Leeds«, kam die Durchsage. »Der nächste Halt ist in Leeds. Endstation – bitte lassen Sie kein Gepäck zurück.«
Laurie stand auf und musste sich nach den zwei Stunden Fahrt, die sie gesessen hatte, erst einmal recken und strecken. Mit ihrem Koffer stieg sie dann im Bahnhof aus. Nachdem sie Bahnsteig 6 gefunden hatte, stieg sie in einen kleineren, engen Zug um. Als dieser abfuhr, rumpelte er durch die Landschaft, vorbei an Feldern und Schafherden. Er machte Halt in Giggleswick, Long Preston und anderen Städtchen, deren Namen Laurie noch nie im Leben gehört hatte. Mit Ausnahme einer älteren Dame, die ein Kreuzworträtsel löste, war das Abteil leer, sodass Laurie in Ruhe die Vogue lesen konnte. Darin erfuhr sie, was It-Girl Alexa Chung bei den Weihnachtskonzerten tragen und welchen Designer Model und Schauspielerin Chloe Sevigny beim Einkauf der Weihnachtsgeschenke wählen würde. Nach etwas weniger als einer Stunde wurde Skipley angekündigt.
Als sie nach ihrem Gepäck griff, warf sie einen Blick aus dem Fenster. Am Bahnsteig stand keine Menschenseele – niemand. Sie ließ den Blick über die weiten, kahlen Felder und Hügel schweifen. Na, herzlich willkommen in Skipley, dachte sie. Ob es wohl schon zu spät war, die Wohnungen zurückzutauschen?
K apitel 8
Mittwoch, 29. November
»So, Kinder. Da sind wir«, stellte Rachel fest und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, als sie die U -Bahn-Station verließen. »Brixton.«
Zak und Milly schauten sich mit großen Augen um und ließen die belebte Hauptstraße auf sich wirken. Es war mitten am Tag und ein Mittwoch – die Bürgersteige waren voller Passanten. An den Marktständen herrschte ein geschäftiges Treiben, Polizeisirenen heulten, und ein wiedergeborener Christ predigte