Ein Kuss unter dem Mistelzweig
komisch, denn bevor wir uns kennengelernt haben, dachte ich eigentlich, in einen anderen Typ verknallt zu sein, einen Jungen in meiner neuen Schule, eine Klasse über mir. Aber ich habe keine Ahnung, ob er überhaupt je an mir interessiert war, wahrscheinlich eher nicht.
Jedenfalls habe ich diesen anderen Typ erst einmal getroffen, aber wir haben uns sofort richtig gut verstanden und uns den ganzen Abend lang unterhalten. Ich muss unentwegt an ihn denken. Er will mich unbedingt wiedersehen, wenn wir nach Skipley zurückkommen, aber ich weiß nicht so recht, was Mum und Dad dazu sagen – ich habe noch nie einen Freund gehabt.
Jedenfalls: Findest du, ich sollte es riskieren? Ich hoffe, du kannst mir einen Rat geben!
Liebe Grüße
Milly
K apitel 11
Freitag, 1. Dezember
»Mocca-ci-no«, instruierte Laurie den jungen Mann im Teenageralter, der sie im Café an der Skipley High Street bediente. Dieser zog die Augenbrauen hoch und sah sich um, was sie alles im Regal hatten. Da er schlaksige ein Meter achtzig groß war, befand er sich beinahe auf Augenhöhe mit dem obersten Regalboden.
»Wir haben Instantkaffee«, erklärte er und deutete auf ein Glas mit Nescafé, das sich auf einem Regalboden befand, auf dem ansonsten nur Schachteln mit Yorkshire Tee gestapelt waren. Sein Haar war kurz und mausgrau, und Laurie bemerkte den Flaum von beginnenden Koteletten. »Oder warten Sie mal – Mokka, das ist mit Schokolade drin, oder?« Er neigte den Kopf zur Seite und überlegte. »Ich könnte Ihnen einen Kakao kochen und den dann mit Kaffee mischen – wäre das in Ordnung?«
»Ist das Ihr Ernst …?« Laurie verzweifelte allmählich. Sie stellte ihre Lederhandtasche auf die Verkaufstheke und musterte den jungen Mann hinter der Theke. »Herrje«, stammelte sie leise und fragte sich, was sie in einem früheren Leben wohl falsch gemacht haben musste, um hier gestrandet zu sein. »Dann nehme ich einen Instantkaffee, wenn Sie den haben.«
Es war Samstagmorgen, halb zehn. Laurie hatte nicht schlafen können, da ein Gewitter die ganze Nacht lang an den Fensterläden gerüttelt hatte und sie schließlich beschlossen hatte, lieber früh aufzustehen, als noch weiter zu versuchen, wieder einzuschlafen. Sie war jetzt seit zwei Tagen in Skipley, doch dank des ununterbrochenen Regens hatte sie das Cottage bislang kaum verlassen, sondern es sich auf dem Sofa mit Magazinen und Büchern gemütlich gemacht. Das war sterbenslangweilig gewesen, doch mithilfe von Rachels Anweisungen hatte sie schließlich herausgefunden, wie der AGA -Ofen funktionierte, und ein Feuer angezündet. Heute hatten sich die Sturmwolken endlich verzogen, und obwohl immer noch alles grau in grau war, hatte es doch endlich aufgehört zu regnen.
Als sie an jenem Morgen verschlafen das Cottage verlassen hatte, war ihr schnell klar geworden, wie unangemessen die Klamotten waren, die sie mitgebracht hatte – in Skipley war es bitterkalt. Zwar besaß sie einen scharlachroten Wollmantel, doch abgesehen davon nichts, was sie warmhielt. Bevor sie das Ende des Weges erreicht hatte, war sie auf dem Absatz umgekehrt und wieder ins Haus gelaufen, wo sie dann Rachels und Aidens Garderobenschrank durchforstet hatte. Dort fand sie ein Paar gefütterte Gummistiefel in ihrer Größe, die sie dankbar überstreifte, sowie einen dicken weißen Schal. Dann entdeckte sie Ohrenschützer aus Pelzimitat, die eigentlich sogar ziemlich cool aussahen – und wahrscheinlich Milly gehörten, wie Laurie annahm. Sie setzte sie auf und betrachtete das Gesamtwerk im großen Spiegel im Wohnzimmer. Einen einzigen Tag lang war es okay, der Bequemlichkeit Vorrang vor Stil zu geben.
Dunn’s Café war das erste Ladenlokal, das geöffnet hatte. Zu Hause in London hätte sie nicht mal im Traum daran gedacht, ein solches Café zu betreten – Resopaltische mit Teeflecken darauf, eine Frühstückskarte, auf der vornehmlich gebratene Dinge zu finden waren. Dafür war nicht einmal ein Hauch von Vintagemöbeln oder Cupcakes zu entdecken. Doch es sah aus, als sei es drinnen warm, dachte sie. Das würde genügen.
Während sie nun auf ihr Getränk von fragwürdiger Qualität wartete, fragte sie sich, ob es wohl ein Fehler gewesen war, hinsichtlich ihrer gewohnten Ansprüche einen Kompromiss einzugehen. Laurie kramte ihr Handy hervor und warf einen Blick aufs Display, doch sie hatte hier keinen Empfang. Langsam, ganz langsam, kippte sie mit dem Stuhl nach hinten, bis ihr Kopf beinahe die Fensterscheibe
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