Ein Kuss vor Mitternacht
sich galant vor ihr, sichtlich darum bemüht, den anderen zu zeigen, dass er ihr seine Ehrerbietung erwies. „Constance, ich sehe mit Freuden, dass Sie wohlauf sind.“
„Ja, danke, es geht mir gut.“ Sie schenkte ihm ein befangenes Lächeln. Da sie den Blicken aller ausgeliefert war, fühlte sie sich zu gehemmt, um mit ihm etwas anderes als belanglose Höflichkeiten auszutauschen. „Und Sie? Ich hoffe, Sie haben sich keine Erkältung zugezogen.“
Er schüttelte den Kopf. „Seien Sie unbesorgt.“ Er bot ihr höflich den Arm. „Kommen Sie und begrüßen Sie meine Eltern und Francesca.“
Ausgenommen von Muriel und Lady Rutherford waren seine Eltern die letzten Menschen, mit denen Constance sprechen wollte, wobei ihr natürlich klar war, dass diese Begegnung äußerst wichtig war, um böse Gerüchte im Keim zu ersticken. Vermutlich würden seine Eltern alles tun, um einen Skandal zu vermeiden, dennoch befürchtete Constance, von ihnen ignoriert und in der Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Sie waren gewiss entsetzt über die Nachricht, dass ihr Sohn sich mit einer mittellosen und unbedeutenden Person verlobt hatte statt mit der reichen Erbin, die sie ihm zugedacht hatten.
Zu ihrer Erleichterung wurde sie höflich, wenn auch kühl begrüßt. Nur Francesca war wie immer herzlich und bemühte sich, eine leichte Plauderei in Gang zu halten. Lord und Lady Selbrooke blieben einsilbig, und Constance hätte Francesca gerne in ihren Bemühungen unterstützt, fühlte sich aber nach wie vor zu beobachtet von allen Seiten, um sich unbefangen zu geben.
Sie tat so, als würde sie Francesca zuhören, nickte gelegentlich zustimmend mit einem starren Lächeln, verstand aber nur die Hälfte von dem, was ihre Freundin gerade erzählte. Zunächst wunderte Constance sich darüber, warum Lord und Lady Selbrooke, denen in der verkrampften Atmosphäre gewiss unbehaglich zumute war, sich nicht entfernten. Doch bald begriff sie, dass auch Dominics Eltern Gesprächen mit anderen Gästen aus dem Weg gingen und vermeiden wollten, dass Constance sich mit anderen unterhielt. Sie dachten wohl, je weniger über diese überstürzte Verlobung geredet wurde, desto höher wären die Chancen, die leidige Angelegenheit einfach unter den Teppich zu kehren.
Andererseits fand sich dadurch für Constance auch keine Gelegenheit, mit Dominic unter vier Augen zu sprechen. Wohl oder übel musste sie das Dinner abwarten. Endlich ertönte der Gong, und die Herren führten die Damen zu Tisch. Constance wurde zu ihrer Erleichterung von Dominics Eltern getrennt, verlor dadurch aber auch deren Schutz vor neugierigen Fragen.
Ein gewisser Trost bestand darin, dass Lady Rutherford und Muriel nicht zum Dinner erschienen. Die beiden Damen hätten es sich gewiss nicht nehmen lassen, bohrende Fragen zu stellen. Die Norton-Schwestern würden sich danach erkundigen, wie es zu dieser Verlobung gekommen sei, und andere zweifellos heikle Fragen stellen. Constance würde sich irgendeine romantische Geschichte ausdenken müssen, aber wenigstens hatten die jungen Mädchen keine verletzenden Absichten.
Zu Constances großer Freude verhielt Mr. Willoughby sich höflich und diskret wie immer und schnitt das Thema nach einem gemurmelten Glückwunsch nicht wieder an, genauso wenig wie er den Reitausflug erwähnte. Sir Lucien, ihr Tischherr zur Linken, hatte gewiss Instruktionen von Francesca erhalten, denn er plauderte geistreich und ausführlich über alles Erdenkliche, nur nicht über die Verlobung.
Nach dem Dinner zogen die Herren sich wie gewöhnlich zurück, und Constance sah sich mit den Fragen der Damen konfrontiert.
„Es ist so wahnsinnig aufregend!“, erklärte Miss Elinor Norton und hakte sich bei ihr unter, als man sich in den Salon begab. Ihre Schwester nahm Constances andere Seite in Beschlag.
„Ich hatte ja nicht die geringste Ahnung, dass Sie und Lord Leighton einander versprochen sind“, fügte Miss Lydia hinzu. „Wie lange sind Sie schon verlobt? Und wie hat er um Ihre Hand angehalten? Machte er einen echten Kniefall?“
Constance spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Bitte, es ist nicht … ich meine, ich kenne Lord Leighton erst seit Kurzem.“
„Wie romantisch!“, rief Elinor und presste eine Hand an ihren Busen. „War es Liebe auf den ersten Blick?“
„Ähm, nun …“ Constance schaute sich verzweifelt um, wünschte, Francesca oder Calandra kämen ihr zu Hilfe.
„Ach Elinor, schweig, du bringst die Ärmste nur in
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