Ein Kuss vor Mitternacht
glänzenden Schuhwerk aus feinstem schwarzem Leder. Sein blütenweißes Plastron war kunstvoll gebunden, sein Gehrock aus edlem Tuch makellos geschnitten. Und Constance war sicher, dass jedes Detail seiner Garderobe, auch der große Onyxring an seiner rechten Hand und die schwarzen Seidenstrümpfe zu der grauen Hose, von ihm mit großer Sorgfalt gewählt waren, um den richtigen Effekt zu erzielen.
Francesca machte Constance mit ihm bekannt, und er begrüßte sie mit einer formvollendeten Verneigung. Neben Sir Lucien wirkte Lord Leighton beinahe ein wenig nachlässig gekleidet. Sein Haar war zu lang, um modisch zu sein, seine eleganten schmalen Finger schmückte kein Ring, sein Halstuch war schlicht gebunden, und sein Anzug, wenngleich von erlesener Qualität und Passform, wirkte eine Spur zu lässig im Vergleich zu Sir Luciens Erscheinung. Allerdings gefiel Constance Leightons natürliche Männlichkeit und saloppe Art besser. Er wirkte nicht wie ein Mann, der übermäßig viel Zeit vor dem Spiegel verbrachte, was ihn in ihren Augen nur noch anziehender machte.
„Nun, Lady Simmington scheint ihrem Ruf wieder einmal alle Ehre zu machen“, bemerkte Sir Lucien mit einem Blick in die Runde.
Das Haus war prächtig dekoriert. Girlanden aus Efeu und Seidenbändern schlangen sich um die Säulen des Treppengeländers, dazwischen prangten duftende Blumengestecke. Der Treppenabsatz im ersten Stock war von bunten Blumensträußen in hohen Bodenvasen flankiert. Das ganze Haus war von unzähligen Kerzen erhellt, die in mehrarmigen Wandhaltern, in Kristalllüstern und mannshohen Kandelabern flackerten. Im Kerzenschein funkelten die Juwelen der Colliers und Armbänder der Damen, und die eleganten Abendroben wirkten im goldenen Schein noch kostbarer. Aus dem Ballsaal drang gedämpftes Stimmengewirr untermalt von beschwingten Klängen des Orchesters.
„Die Creme der Gesellschaft ist heute hier versammelt“, fuhr Sir Lucien fort. „Natürlich wagt es niemand, nicht zu erscheinen, da andere auf die Idee kommen könnten, man sei nicht eingeladen.“
Oben an der Treppe begrüßte Lady Simmington ihre Gäste hoheitsvoll mit feierlicher Miene. Francesca stellte Constance der Gastgeberin vor, wobei Constance allerdings den Eindruck hatte, die Dame nehme gar keine Notiz von ihr, da sie nur majestätisch nickte und eine vage Geste in Richtung Ballsaal vollführte.
„Ist sie immer so …?“, fragte Constance, als sie sich ein paar Schritte entfernt hatten, und suchte nach dem richtigen Wort, um Lady Simmington zu beschreiben.
„Arrogant?“, half Lord Leighton ihr auf die Sprünge.
Francesca und Sir Lucien lachten leise.
„O nein“, antwortete Sir Lucien. „Manchmal ist sie noch hochmütiger. Lady Simmington ist nämlich die jüngste Tochter des alten Montbrook.“
„Des Duke of Montbrook“, ergänzte Francesca.
„Der komische alte Kauz, der seine Tage bei Whites schlafend im Sessel verbringt?“, fragte Lord Leighton.
„Davon weiß ich zwar nichts, aber er ist steinalt und stocktaub und trägt, wie ich höre, immer noch weiße Perücken und Schuhe mit goldenen Schnallen“, erzählte Francesca.
„Ja. Er kleidet sich, als würde er täglich bei Hofe empfangen werden“, pflichtete Lord Leighton seiner Schwester bei. „Der Alte ist jeden Morgen mindestens zwei Stunden damit beschäftigt, sich anzukleiden.“
„Mein lieber Freund“, warf Sir Lucien ein, „auch ich benötige jeden Morgen zwei Stunden, um mich anzukleiden – und das mithilfe meines Kammerdieners.“
„Wie dem auch sei, Lady Simmington erwartete selbstverständlich, gleichfalls einen Duke zu ehelichen, und musste bitter enttäuscht feststellen, dass kein passender Kandidat in der Saison ihrer Einführung in die Gesellschaft verfügbar war. Wohl oder übel musste sie sich mit einem Earl zufriedengeben, und ich kann Ihnen versichern, dass sie diese Vermählung als weit unter ihrer Würde betrachtete. Gottlob ist Simmington unermesslich reich, was ihr ermöglicht, Geld mit vollen Händen zu verschleudern wie eine Duchess – wenn nicht gar eine Duchess königlichen Geblüts. In Anbetracht dieser Umstände – ihrer Ahnentafel und Simmingtons Geld – ist sie der Ansicht, eigentlich befände sich die gesamte vornehme Gesellschaft Londons unter ihrem Rang. Eigentlich gesteht sie nur dem Prince of Wales einen höheren Rang zu.“
„Tatsächlich?“, warf Lord Leighton ein. „Ich glaube mich deutlich zu entsinnen, dass sie die Königliche Familie
Weitere Kostenlose Bücher