Ein Kuss vor Mitternacht
Constance die Krankenwache für die nächsten Stunden.
Constance setzte sich zu Francesca und wechselte in regelmäßigen Abständen das feuchte Tuch auf ihrer Stirn. Die Kranke wachte gelegentlich kurz auf und wurde einmal von Constance geweckt, um ihr einen Löffel Medizin einzuflößen. Das Fieber war nicht beängstigend hoch, Francesca hatte keine Fieberträume, war höchstens gereizt und ungeduldig, ans Bett gefesselt zu sein.
„Es ist sehr freundlich von Ihnen, meine Krankenpflegerin zu spielen“, krächzte sie.
„Aber ich bitte Sie! Ohne Sie wäre ich nicht hier“, widersprach Constance. „Im Übrigen bin ich froh, wenn ich heute Abend bei Ihnen bleiben darf. Ich habe den halben Nachmittag mit meiner Tante in einer Kutsche zugebracht, und mir brummt der Kopf noch immer von ihrem leeren Geschwätz.“
Francesca musste lachen und verzog das Gesicht schmerzlich, als das Lachen einen Hustenanfall auslöste. Nachdem der Krampf sich endlich wieder gelegt hatte, fragte sie: „Wieso haben Sie sich darauf eingelassen? Wieso sind Sie nicht geritten?“
„Meine Reitsachen habe ich zu Hause in Wyburn gelassen.“
„Ach, du liebe Güte. Daran hätte ich denken müssen …“ Francesca schüttelte bedauernd den Kopf. „Einerlei. Maisie wird einfach mein Reitkostüm ändern. Wenn Sie im Sattel sitzen, wird man nicht bemerken, dass der Rock ein wenig zu kurz ist.“
„Aber nein. Das kann ich nicht annehmen.“
„Tja, ich werde es nicht brauchen“, erklärte Francesca mit einer ausholenden Handbewegung über das Bett. „Wie es aussieht, werde ich noch ein paar Tage ans Bett gefesselt bleiben. Und selbst wenn ich wieder aufstehen kann, wird mir der Sinn nicht nach einem Ausritt stehen. Nein, tun Sie mir den Gefallen, ich bitte Sie. Ein Aufenthalt auf dem Lande, ohne reiten zu dürfen, ist doch nur das halbe Vergnügen, finden Sie nicht auch?“
Constance ließ es dabei bewenden, schließlich hatte Francesca irgendwie recht. Dennoch nagte das schlechte Gewissen an ihr, und sie fragte sich, ob Francesca auch dann noch bereit wäre, ihr mit ihrem Reitkostüm auszuhelfen, wenn sie wüsste, dass ihr Bruder sie zu einem Reitausflug eingeladen hatte.
Sie kam sich beinahe vor wie eine Verräterin, da sie der Freundin ihre Unterhaltung mit Lord Leighton verschwieg. Auf der anderen Seite fürchtete sie, Francesca könnte glauben, sie würde sich einbilden, Lord Leighton habe ein Interesse an ihrer Person. Also schwieg sie und schärfte sich immer wieder ein, dass zwischen ihr und dem Viscount nichts vorgefallen war und nichts vorfallen würde.
Constance blieb den ganzen Abend bei Francesca und ließ sich ihr Abendessen von einem Küchenmädchen auf dem Tablett heraufbringen. Später, als die Patientin wieder eingeschlummert war, ließ Maisie eine Behelfsliege von einem Diener hereintragen, auf der sie die Nacht verbringen wollte.
„Hier bin ich, Miss“, flüsterte sie lächelnd. „Nun können Sie zu Bett gehen.“ Sie beugte sich über Francesca und legte ihr den Handrücken an die Stirn. „Wie ist es ihr ergangen?“
„Sie schlief die meiste Zeit“, antwortete Constance. „Eine Weile war sie ziemlich unruhig, doch dann ist sie wieder eingeschlafen.“
„Das Fieber ist nicht gestiegen“, erklärte Maisie. „Ein gutes Zeichen. Hoffentlich haben Sie sich nicht angesteckt, Miss. Mylady wäre darüber sehr bestürzt.“
„Ich kann Sie beruhigen“, meinte Constance zuversichtlich.„Ich erfreue mich bester Gesundheit. Lady Haughston soll sich bitte keine Sorgen um mich machen.“
Mit dem Versprechen, am nächsten Morgen Francesca wieder zu besuchen, zog Constance sich auf ihr Zimmer zurück. Auch diesmal hatte sie Probleme, einzuschlafen. Immer wieder dachte sie an den Ausflug und den kleinen Spaziergang mit Dominic über den Friedhof. Und dann stutzte sie und fragte sich, wann sie angefangen hatte, ihn für sich beim Vornamen zu nennen.
Und warum dachte sie überhaupt an ihn mit diesen seltsam wehmütigen und sehnsüchtigen Gefühlen? Wie kam es, dass die Gedanken an ihn sie zugleich freudig erregten und ängstigten?
Wenn sie sich nur sein Lächeln ins Gedächtnis rief, begann es, in ihrem Bauch zu flattern. Und wenn sie die Augen schloss und sich der Berührung seiner Hand entsann, die sich so warm und kraftvoll angefühlt hatte, breitete sich ein Gefühl der Sehnsucht aus, das sie noch nie so intensiv empfunden hatte.
Lord Leighton war nicht für sie bestimmt, das musste sie sich immer wieder vor
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