Ein Kuss vor Mitternacht
diese Überraschung ist Ihnen perfekt gelungen. Kein Sterbenswörtchen! Nicht den Hauch einer Andeutung.“
„Wie denn auch?“, entgegnete Francesca leichthin. „Ich habe geschworen, Schweigen zu bewahren.“
„Meinen herzlichen Glückwunsch“, rief Calandra aufgeregt und eilte die Stufen herunter. „Dominic und Constance sind ein Paar. Ich freue mich sehr darauf, dass wir bald Nachbarn sind. Mein ödes Einsiedlerleben trifft jetzt schon ein Lichtstrahl.“
Immer noch plappernd, legte sie die Hände auf Constances Schultern und küsste sie auf beide Wangen. „Wie fühlen Sie sich? Sind Sie glücklich?“
Constance nickte benommen. „Ich weiß nicht recht, vielen Dank.“
Der Knoten, der ihr die Kehle zuschnürte, machte ihr das Sprechen schwer. Calandras und Francescas rührende Hilfsbereitschaft, diese namenlos peinliche Situation zu entschärfen, verliehen Dominics Worten wesentlich mehr Nachdruck und Überzeugungskraft.
„Dominic, seien Sie kein Narr!“, stieß Muriel gepresst hervor.
Francesca trat mit einem angestrengten Lächeln auf sie zu. „Wie mir scheint, sind Sie über diese wundervolle Nachricht ebenso überrascht wie alle anderen, hab ich recht, Muriel?“
Sie nahm Muriel beim Arm und zog sie ein paar Schritte zur Seite, bevor sie ihre Warnung mit gedämpfter Stimme aussprach. „Machen Sie sich bitte nicht noch mehr zum Gespött, als Sie es bereits getan haben. Mit Ihrer bösen Zunge und Ihrer heimtückischen List haben Sie genau das Gegenteil von dem erreicht, was Sie sich zum Ziel setzten. Ich rate Ihnen dringend, endlich den Mund zu halten, um sich und Ihre Familie nicht noch mehr zu blamieren.“
Francesca lächelte Muriel weiterhin freundlich an, als die ihr plötzlich mit wutverzerrtem Gesicht den Arm entriss. Mit einem letzten giftigen Blick in Constances Richtung machte sie auf dem Absatz kehrt, eilte zu ihrem Pferd, riss dem verdutzten Stallburschen die Zügel aus der Hand, der sich gerade noch rechtzeitig von seinem Schreck erholen konnte, um ihr in den Sattel zu helfen. Muriel hieb dem unschuldigen Gaul die Absätze in die Flanken und galoppierte mit donnernden Hufen davon.
„Ich denke, wir sollten uns ebenfalls auf den Rückweg machen“, erklärte Francesca, die vollendete Gastgeberin, als sei Muriels überstürzter Aufbruch nichts Außergewöhnliches.
„Constance, ich bestehe darauf, neben Ihnen zu reiten“, erklärte Calandra aufgekratzt, „ich will alles über Ihre Hochzeitspläne erfahren.“
Francesca und Calandra ritten während des gesamten Rückwegs an Constances Seite, ohne ein Wort über die vermeintliche Hochzeit oder Verlobung zu verlieren. Abgesehen von der beiläufigen Frage, ob Constance in ihren nassen Kleidern nicht fröstle, redeten die Damen kaum miteinander.
Und dafür war Constance unendlich dankbar. Calandra hatte es geschickt eingefädelt, dass niemand neugierige Fragen zu der unangenehmen Szene stellen konnte. Im Übrigen fühlte Constance sich noch wie gelähmt, sodass sie ohnehin kein Wort herausgebracht hätte.
Noch vor Kurzem hatte sie sich in einem entrückten Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit befunden, aus dem Muriel sie grausam in die Realität zurückgeholt hatte. Constance konnte ihre eigene Unbesonnenheit kaum fassen, hatte sie doch genau gewusst, dass sie einen Skandal riskierte, wenn sie es wagte, mit Dominic allein zu sein. Dennoch hatte sie sich störrisch geweigert, an die Konsequenzen zu denken, hatte in ihrem Leichtsinn allzu leicht vergessen, dass sie in nassen, schmutzigen Kleidern und zerzaustem Haar den schlimmsten Verdacht nur bestärken würde, etwas unverzeihlich Ungehöriges getan zu haben. Irgendwie hatte sie darauf vertraut, dass ihre Freunde stillschweigend darüber hinwegsehen würden, hatte völlig außer Acht gelassen, dass Muriel es darauf anlegen würde, die Situation in den hässlichsten Farben zu schildern.
Constance konnte eigentlich nicht mehr nachvollziehen, was sie bewogen hatte, so leichtfertig zu handeln, hätte aber auch nicht gewusst, wie sie sich gegen die Macht ihrer Gefühle hätte wehren können. Hätte sie wenigstens nicht nur dagestanden wie ein begossener Pudel – im wahrsten Sinne des Wortes. Wieso hatte sie nicht schlagfertiger auf Muriels bösartige Attacke reagiert? Aus diesem Grund war Dominic ihr zu Hilfe geeilt, um ihre Ehre zu retten. Und das war das Schlimmste an der fatalen Sache.
Die hämischen Blicke, das gehässige Getuschel hinter ihrem Rücken würden sie bis
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