Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
war. Sie trat auf den Mann zu, hockte sich vor ihn hin, drehte sein Gesicht so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Er gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich. Es kümmerte sie nicht. »Raus mit der Sprache, ich will sofort wissen, was das heißt!«
    »Es war eine Bombe. Sie galt einem schwarzen Parlamentsmitglied«, stotterte der Mann, »er setzte sich für Landumverteilung ein, wie die das in Simbabwe machen. Er wollte unser Land an die Ka … Schwarzen geben …« Sein Unterkiefer zitterte. »Wir haben ihm eine Paketbombe geschickt. Er hat sie zu spät bekommen und erst im Flugzeug aufgemacht …« Er greinte.
    Sie ließ sein Gesicht los, sein Kopf fiel zurück, er schrie auf. Sie stand auf, trat vor Len Pienaar und starrte ihn an, den Mann, der ihre Familie zerstört hatte. »Erst Tommy«, flüsterte sie, »dann meine Mutter, und dann Christina … meine ganze Familie..« Meine ganze Familie, schrillte es in ihrem Kopf, mein Leben. Mit einem Schritt war sie bei einem der Leute von Popi, der eine Maschinenpistole in der Faust hielt. Sie entriss ihm die Waffe, hob sie und krümmte den Finger.
    Doch Nils packte sie grob am Arm, entwand ihr die Waffe, warf sie auf den Boden. »Jill, komm zu dir! Haben die das vor, was ich denke, dass sie vorhaben?«, er zeigte auf die Männer mit den Autoreifen, die schon die Benzinkanister in den Händen hielten. »Wollen die den dreien diese Reifen umlegen und sie anzünden? Das ist Lynchjustiz, wir müssen das verhindern! Jill, um Himmels willen, das kannst du nicht mitmachen!«, schrie er, schüttelte sie.
    Ihr Kopf schnappte vor und zurück. Seine Worte rauschten an ihr vorbei, ihren Inhalt erfasste sie nicht. »Lass mich … Weißt du, was der gesagt hat? Was das heißt?« Vergeblich versuchte sie sich von ihm zu befreien. »Verstehst du nicht, er und Leon, der Bruder meines Mannes, haben die Bombe gebaut, die meinen Bruder getötet hat … und die, die das Flugzeug zum Absturz gebracht hat, in dem meine Mutter saß … Christina … dafür muss er büßen … und Leon auch …« Sie schluchzte.
    »Aber nicht so, verdammt noch mal, Jill! Die Kerle gehören vor ein ordentliches Gericht. Wenn man die hier ermordet, wirst du nie erfahren, was wirklich passiert ist.« Diesmal fasste er sie gröber an.
    Verwirrt sah sie ihn an, sah das Entsetzen, den Abscheu in seinen Zügen und wachte mit einem Ruck auf. »Natürlich«, murmelte sie, »du hast Recht, natürlich …« Sie berührte ihn am Arm.
    Er sah auf sie hinunter, und nach einem winzigen Zögern, das sie zutiefst erschreckte, nahm er doch ihre Hand in seine. »Wir müssen hier weg, ehe es zu spät ist, sonst gehen wir mit drauf. Ich hab so was schon mal in Ruanda gesehen – sie machen keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, die hacken alle in Stücke.«
    Der Jüngere, der geredet hatte, hatte sich in die Hose gemacht. Ein schmierig brauner Fleck breitete sich über seine Khakihose aus. Es stank, und die ersten Fliegen ließen sich gierig auf der Stelle nieder. Einer der Zulus bemerkte es, zeigte darauf, rief etwas, und alle schrien und lachten durcheinander. Die Frauen, die sich etwas abseits zusammenballten, trillerten und schüttelten die Stöcke, die sie vorher von den Büschen am Feldrain hinter dem Indaba-Baum gebrochen hatten.
    Die Menschenmasse schloss den Kreis um sie, brodelte wie Lava im Trichter eines Vulkans vor dem großen Ausbruch. »Wozani!«, schrie einer der Zulus und stampfte auf den Boden. »Kommt!« Seine Augen glühten rot, die Pupillen waren zusammengezogen. Er war jung, sicher noch keine fünfundzwanzig, wie fast alle, die sich um Popi Kunene scharten. »Bulala! Tötet!«, brüllte er.
    »Wozani!«, antworteten die anderen und stampften gleichzeitig, dass der Boden unter ihren Füßen erbebte. »Bulala!« Das Wort hallte über die Hügel.
    Wieder schrie der Erste etwas, und die anderen antworteten, ihr Stampfen wurde stärker und schneller, ölig glänzende Körper wanden sich, Pangas pfiffen durch die Luft, Maschinenpistolen wurden geschüttelt, und jetzt wusste auch Jill, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Sie löste ihr Handy vom Gürtelclip und wählte Neils Nummer. Glücklicherweise war der Empfang einigermaßen. Er antwortete selbst. Eine Hand vor die Muschel haltend, erklärte sie ihm schnell, was hier ablief, wobei sie sich häufig wiederholen musste, weil das Gebrüll der Zulus alles übertönte.
    »Ich höre es«, sagte Neil, »sieh zu, dass ihr da wegkommt.«

Weitere Kostenlose Bücher